Blick in die Brotfabrik Den Raum weiter öffnen

Bonn · Das Kulturzentrum Brotfabrik in Beuel hat seit gut 100 Tagen einen neuen Vorstand. Guido Preuß, Tina Jücker und Jürgen Becker starten mit einem Umbau im Erdgeschoss und einer Bilanz der ersten 35 Jahre

 Durchbruch  im Erdgeschoss der Brotfabrik:  Dahinter liegen 283 Quadratmeter des  ehemaligen  Getränkemarktes

Durchbruch im Erdgeschoss der Brotfabrik: Dahinter liegen 283 Quadratmeter des ehemaligen Getränkemarktes

Foto: Guido Preuß/Guido Preuß

Die weiße, dorisch-inspirierte Säule im Eingang des ehemaligen Getränkemarktes ist ein Blickfang und der voluminöse dunkelbraune Trichter daneben ebenso: Früher ergoss sich daraus ein Schwall von Mehl. Das allerdings liegt schon lange zurück. Wenn heute von der Brotfabrik in Beuel die Rede ist, geht es um Kunst und Kultur. Wer durch die Toreinfahrt an der Kreuzstraße 16 geht, ist auf dem Weg ins Theater, ins Kino oder Konzert, sieht sich zeitgenössischen Tanz oder eine Ausstellung an, nimmt an einem Kursus oder Workshop teil.

Traumpalast heißt der gemeinnützige Träger, der die ansässigen Betriebe unter seinem „Dach“ vereint. Mit Traumtänzerei indes hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Sich in der freien Kulturszene zu behaupten, setzt eine gesunde Portion Realitätssinn und Pragmatismus voraus; gut und gern ein Stück vom Mainstream entfernt und darüber hinaus. Seit inzwischen nahezu 35 Jahren ist dies so und jetzt – unter Pandemiebedingungen – erst recht.

Kein Grund, resigniert die Hände in den Schoß zu legen und die Schultern zu zucken. Jedenfalls nicht für Guido Preuß, Tina Jücker und Jürgen Becker: Seit Anfang Dezember 2020 sind der Dramaturg und Musiker bei Tanzwerke Vanek Preuß (Vorsitzender), die Gründerin und Leiterin des Theater Marabu (Stellvertreterin) sowie der Leiter der Brotfabrik Bühne Bonn für die Vorstandsarbeit des Traumpalastes verantwortlich.

  Das Vorstandsteam des Vereins Traumpalast (v.l.):  Tina Jücker, Jürgen Becker und Guido Preuß

 Das Vorstandsteam des Vereins Traumpalast (v.l.): Tina Jücker, Jürgen Becker und Guido Preuß

Foto: Klaus Rosen

Die Zeit während der Pandemie nutzen

Dabei haben sie bereits einen Durchbruch erzielt. Unübersehbar –  gleich, wenn man durch Toreinfahrt kommt. Denn die Wand zu den Räumen des Getränkemarktes, die lange als Lager genutzt wurden, hat nun ein großes Loch. Wenn dort aber erst einmal eine Glasscheibe eingesetzt ist, wird sich die Brotfabrik durch dieses Fenster wieder ein Stück weiter öffnen. In einem ersten Bauabschnitt wurde an Brandschutz und Heizung gearbeitet. Auch die Sanitäranlagen sind bereits eingebaut: ebenerdig und  barrierefrei.

 Blick in den Eingang zur Brotfabrik

Blick in den Eingang zur Brotfabrik

Foto: Guido Preuß

 Für die Zukunft stehen im Erdgeschoss nun also zusätzliche 283 Quadratmeter zur Verfügung. „Diesen Raum möchten wir je nach Bedarf für Veranstaltungen und Proben nutzen“, blickt Preuß voraus. „Auch Kartenverkauf und Garderobe lassen sich dort entzerren.“ Genug, um den Bedingungen für den pandemiebedingten Umbau zu entsprechen, die „Neustart Kultur“ –  das von Staatsministerin Monika Grütters aufgelegte Rettungspaket für den Kultur- und Medienbereich –  vorsieht.

„Bauliche Ertüchtigung“ wird mit 88 000 Euro gefördert

 Blick ins Innere: Hier öffnet sich neuer Raum mit interessanten Details (r.) Unten: Perspektivwechsel mit Blick von der Toreinfahrt in die Brotfabrik

Blick ins Innere: Hier öffnet sich neuer Raum mit interessanten Details (r.) Unten: Perspektivwechsel mit Blick von der Toreinfahrt in die Brotfabrik

Foto: Kristina Wydra

Mit rund 88 000 Euro wird die „bauliche Ertüchtigung“ gefördert. Zudem hat der Verein Traumpalast auch einen Antrag für die „Entwicklung digitaler Angebote“ gestellt. „Das läuft  zurzeit noch“, sagt Tina Jücker. Entgegen dem Diktum der durch Corona verarmten Kultur setzen sie und ihre Vorstandskollegen zur Generalüberholung an. „Dieses Innehalten war schon seit einiger Zeit  überfällig“, zieht  Jücker Bilanz. „In mehr als 30 Jahren haben wir uns hier verändert und das Publikum mit uns.“ Daraus ergeben sich grundlegende Fragen. „Wie arbeiten wir heute? Wo wollen wir hin? Wie können wir uns untereinander besser vernetzen und was für eine Brotfabrik wünschen wir uns für das Jahr 2030?“

Diskussionsstoff für die Zukunftslabs, die im Februar 2021 gestartet sind: In Gesprächen mit Mitarbeitern aus den Betrieben, mit kulturpolitischen Sprechern, Teilnehmern der Stadtgesellschaft und Vertretern anderer Kulturzentren geht es darum, wie sie die Brotfabrik wahrnehmen und was sie von ihr erwarten. Zum Beispiel eine weitere Öffnung für diejenigen, die mit den Kunst- und Kulturinstitutionen der Stadt nicht unbedingt in Berührung kommen, aber sich solche Begegnungen durchaus wünschen. Perfekte Deutschkenntnisse sind keine Bedingung, Inspirationen aus anderer Kulturen jederzeit willkommen.

 Der ehemalige Mehltrichter der Brotfabrik

Der ehemalige Mehltrichter der Brotfabrik

Foto: Kristina Wydra

Dies entspricht der Philosophie, die eigene Basis als soziokulturelles Zentrum wieder stärker in den Fokus zu rücken: sozusagen zurück auf Werkseinstellung. „Die Geschichte dieser Zentren begann  in den 1970er Jahren“, blickt Becker zurück. Ihrer Tradition folgte auch die Brotfabrik: um die Grenzen des Etablierten aufzubrechen und kulturelle Angebote für alle Bevölkerungsschichten und Altersklassen zu schaffen. Doch was bleibt, wenn das Markenzeichen ‘alternativ‘ vom Mainstream adaptiert wurde?

„Unter den soziokulturellen Zentren nehmen wir eine besondere Stellung ein, wir sind das Chamäleon“, ergänzt Becker. „Anders als die Zentren im Ruhrgebiet, die sich viel stärker politisch ausgerichtet haben, kommt unser Haus aus der Kunst- und Kulturbewegung.“ So hat sich die Soziokultur im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte zwar auch in der Brotfabrik modifiziert, als Basis aber nie an Bedeutung verloren. „Wir möchten ein nachhaltiges Zentrum sein, noch stärker in die Stadt und den Stadtteil eingebunden“, definiert Jücker. „Unseren Innenhof wünschen wir uns autofrei; als ungestörten Ort der Begegnung. So möchten wir in einem späteren Bauabschnitt eine weitere Wand durchstoßen und in den Büroräumen dahinter eine Kneipe einrichten, mit Biergarten zum Hof.“

 Ein weiterer Schwerpunkt wird der Ausbau der Tanzsparte mit Aufführungen und Festivals sein: Die nächsten beiden Premieren stehen für den 26. März und 10. April auf dem Online-Spielplan. Aber auch darüber hinaus hat Guido Preuß konkrete Vorstellungen, was sich auf den knapp 300 Quadratmetern im Erdgeschoss umsetzen ließe. „Das können neue Veranstaltungsformate sein, zum Beispiel eine spartenübergreifende Festivalwoche zu einem bestimmten Thema.“

 Im September feiert die Brotfabrik  ihr 35-jähriges Bestehen: ein passender Anlass, um den neuen Raum dem Publikum vorzustellen und die Ergebnisse aus den Zukunftslabs zu präsentieren. Eine  digitale „Homestory“ erwartet die Zuschauer der gleichnamigen Produktion des Jungen Ensembles Marabu aber schon am diesem Samstag, 20. März. Es geht um das Universum Familie – eine Art Kosmos für sich. Und wer mag, könnte auch die Brotfabrik auf ähnliche Weise beschreiben.

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