Kunstmuseum Bonn Der Bonner Markus Gabriel spricht über den Künstler Gerhard Richter

Bonn · „Sie erleben eine Tiefe, die gar nicht da ist“, sagt der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel über die Kunst von Gerhard Richter. Dessen Ausstellung ist derzeit im Kunstmuseum zu sehen.

 Philosoph Markus Gabriel im Kunstmuseum.

Philosoph Markus Gabriel im Kunstmuseum.

Foto: Thomas Kölsch

Kunstwerke im eigentlichen Sinne sind nicht etwa konkrete Objekte, sondern vielmehr die von Gemälden, Skulpturen und Kompositionen ausgelösten Wahrnehmungen: Der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel hat in einem Vortrag in der Gerhard-Richter-Ausstellung des Bonner Kunstmuseums die Erfahrung von Kunst zu ihrem maßgeblichen Definitionsmerkmal erklärt und damit eine bemerkenswerte Interpretation des Kunstbegriffs geliefert.

Anhand der Gemälde und Fotografien Richters, der ohne Frage zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart zählt, skizzierte er seine auf Kant basierenden Ideen und forderte das Publikum auf, über das Augenscheinliche hinauszublicken. Was zumindest einen Teil der ausgestellten Werke in ein neues Licht rückte.

Das Interesse an dem als Gespräch angekündigten Vortrag war immens: Gut 150 Menschen waren ins Museum gekommen, um Gabriels Ausführungen zu hören. Das Haus hatte mit diesem Andrang wahrlich nicht gerechnet, wie auch Intendant Professor Stephan Berg bekannte. Die ohnehin eingeschränkten Sitzmöglichkeiten reichten bei weitem nicht aus, um jedem einen Platz zu bieten, und auch der geplante Rundgang durch die Richter-Ausstellung erwies sich als kaum durchführbar. Immerhin ein Raum fasste jedoch alle Interessierten und gab Gabriel die Gelegenheit, seine Thesen am Objekt selbst zu erläutern.

„Sie erleben eine Tiefe, die gar nicht da ist“, sagte der Bonner Wissenschaftler mit Blick auf die mit Sinnestäuschungen spielenden Fenster- und Vorhangsbilder Richters. „Deshalb hängt das eigentliche Kunstwerk gar nicht dort. Ähnlich ist es, wenn Sie den 'Faust' lesen und Gretchen nicht als Buchstabensalat wahrnehmen, sondern als Person.“ Vielmehr würden die Rezipienten eine „Wahrnehmung wahrnehmen“, eine Illusion von Tiefe und Substanz, die sich nicht zuletzt in vielen Werken Richters fänden.

Zugleich verwies Gabriel auf den Kompositionscharakter von Kunst: „Die Ausstellung eines Pissoirs ist Kunst, nicht das Pissoir selbst“, sagte er mit Verweis auf Marcel Duchamps berühmte „Fountain“. Das Objekt wird also erst in einem Kontext zur Kunst, der Schöpfungsakt zu einem in erster Linie geistigen Prozess. Die physikalische Manifestation des Werkes dient demzufolge nur als Zugangspunkt, als Tür zu seinem Kern.

„Die Wahrnehmung ist geknüpft an ein magisches Hineinziehen“, sagte denn auch Stephan Berg, der sich damit eigentlich nur auf Richters Œuvre bezog und doch allgemeiner verstanden werden konnte. Ob Gabriels Lesart gerade hinsichtlich der Herstellung eines Kunstwerks unwidersprochen bleiben kann, sei dahingestellt – eine tiefergehende Reflexion verdient sie aber zweifelsfrei. Das Publikum dankte dem Philosophen und auch Gastgeber Berg letztlich mit herzlichem Applaus und zahlreichen Fragen.

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