Ausstellung im Bonner Bundesrat Der Charme des Provisoriums

Bonn · Eine Ausstellung des Hauses der Geschichte im Bonner Bundesratsgebäude dokumentiert die Arbeit am Grundgesetz und dessen Verabschiedung. Neue Station auf dem Weg der Demokratie. Josef Isensee eröffnete die Ausstellung.

 Sammlungsdirektor Dietmar Preißler erläutert die Bundesrats-Ausstellung.

Sammlungsdirektor Dietmar Preißler erläutert die Bundesrats-Ausstellung.

Foto: Benjamin Westhoff

Höchste Zeit, mit Mythen aufzuräumen. Nummer eins: Es waren keine großen Tiere, nicht einmal Giraffen, die der Politprominenz 1948 in der Geburtsstunde des Grundgesetzes im Museum Alexander Koenig über die Schulter blickten, wie gerne kolportiert wird. Die Tierpräparate im Erdgeschoss verbargen sich hinter Vorhängen. Allenfalls von der Galerie konnten ausgestopfte Vögel wie der Säbelschnäbler blicken, weswegen sich dieser nun in der am Dienstag im Bonner Bundesratsgebäude eröffneten kleinen Dauerausstellung des Hauses der Geschichte befindet.

Mythos Nummer zwei: Das Museum Koenig war zwar feierlicher Eröffnungsort der konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948, doch nicht der zentrale Handlungsort für das Werden der deutschen Verfassung. Es war die Pädagogische Akademie, das spätere Bundesratsgebäude, das neben dem 1992 gebauten Bundestags-Plenarsaal von Günter Behnisch steht. In der Akademie verhandelte der Parlamentarische Rat großteils unter dem SPD-Politiker Carlo Schmid das Grundgesetz, das am Schicksalstag 8. Mai 1949 (vier Jahre nach der Kapitulation von Hitlers Reich) um fünf Minuten vor Mitternacht verabschiedet wurde. An diesem Ort wurde es am 23. Mai 1949 unterzeichnet und verkündet.

Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee erinnerte nun in seiner Eröffnungsrede am Dienstag an die „kläglichen Bedingungen der Entstehung“ dieser Verfassung, die sich nicht so nennen wollte, weil deren Väter und Mütter mit dem Begriff Verfassung den Zustand der deutschen Teilung festgeschrieben hätten. So also: Grundgesetz, ein Provisorium. Eines mit Weitsicht: „Das Wagnis wurde Wahrheit“, sagte Isensee feierlich, lobte dann die Details. Man habe versucht, die Fehler der Weimarer Republik zu vermeiden, und das Grundgesetz, das nicht die befürchtete „Trümmerverfassung“ aus dem Geist der unmittelbaren Nachkriegszeit war, gleichermaßen visionär wie realistisch auf eine breite Basis des Föderalismus in einem vereinten Europa zu stellen.

Keine "Trümmerverfassung"

„Eine Trümmerverfassung wäre nach wenigen Jahren überholt gewesen“, so Isensee, „die Ausrichtung auf eine staatliche Normalität sichert Dauer in der Würde des Bleibenden.“ Und weiter umriss der Staatsrechtler den Kern jener Initiative: „Das Grundgesetz hält dennoch Bodenhaftung und verliert sich nicht in Utopien und in uneinlösbaren Verheißungen. Es bietet keine ganzheitliche Sozial- und Wirtschaftsordnung, sondern begnügt sich, die allgemeinen Freiheitsrechte zu gewährleisten und mit dem lapidaren Adjektiv ,sozial' ein politisch einzulösendes Staatsziel aufzuzeigen.“ Ferner sei Ziel gewesen, dem „demokratischen Gesetzgeber lediglich einen weiten Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen er die Regelungen treffen kann, die den jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnissen gerecht werden“.

Das Grundgesetz sei, so Isensee, rechtlich verlässlich, politisch glaubwürdig und real wirksam: „Die wichtigsten verfassungsrechtlichen Schranken des staatlichen Handelns sind die Grundrechte, und zwar Grundrechte in ihrer klassischen, ihrer liberalen Funktion: als Freiheitsgarantien der Bürger und als Abwehrrechte gegen die Staatsgewalt.“

Mit aussagekräftigen Objekten dokumentiert die Ausstellung den schwierigen Prozess einer Gesetzesinitiative, die – von den Westalliierten angestoßen – von 61 Männern und vier Frauen unter den wachsamen Augen der Länder, der Kirche, gesellschaftlicher Gruppen und Parteien umgesetzt wurde. Auch die Alliierten wachten über das Verfahren – in einer Vitrine liegt der Bericht eines britischen Verbindungsoffiziers mit Dossiers über einzelne Mitglieder des Parlamentarischen Rates – Adenauer wird darin als „cold and distant“ beschrieben.

Dietmar Preißler, Sammlungchef des Hauses der Geschichte, hat einen informativen Parcours zusammengestellt mit Porträts, Filmsequenzen, Schriftdokumenten und einem Grundgesetz, das man auf einem Touchscreen durchblättern kann. Mit der Bundesratsausstellung und dem historischen Sitzungssaal sowie der Dokumentation im Kanzlerbungalow hat der vom Haus der Geschichte präsentierte Weg der Demokratie in Bonn interessante Stationen. Im Januar 2017 kommen für das Publikum die historischen Räume des Kanzleramts hinzu, 2018/19 soll eine große Ausstellung im Palais Schaumburg folgen.

Führungen durch den Bundesrat können über besucherdienst-bonn@hdg.de und (0220) 91 65 400 gebucht werden

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