Ein Mädchen wird zum Monster Der Roman „American War“ von Omar El Akkad
Düstere Vision: Der Roman „American War“ von Omar El Akkad. Der Autor, weiß, wie man maximale Schockwirkung erzielt.
Verkehrte Welt, wohin man blickt. Die einst korrupten Länder Arabiens und Nordafrikas haben sich nach Volksaufständen zum mächtigen Bouazizireich vereint, während Amerika am Abgrund steht. Alles beginnt im April 2075 an jenem Mississippimeer, in dem das prachtvolle New Orleans versunken ist.
Hier sieht man die sechsjährige Sara T. Chestnut, die sich immer nur Sarat nennt, wie sie Honig in Dielenbrettern verkleckert. Sarat ist anders, wilder als ihre schöne Schwester Dana, eigensinniger als ihr Bruder Simon. Und das vom Klimawandel gebeutelte Land steckt im zweiten Bürgerkrieg, weil der renitente Süden partout an den vom Norden verbotenen fossilen Brennstoffen festhält.
„American War“ von Omar El Akkad (Jahrgang 1982) ist eine negative Zukunftsvision, eine ungemein packende Dystopie. Hier fallen die Exportschlager der kriegerischen USA, etwa bewaffnete Drohnen oder Folter-Camps à la Guantanamo, aber auch die Ignoranz in Sachen Luftverschmutzung auf die Nation zurück. Und zerstören die widerspenstige Heldin. Sarat absolviert einen wahren Torturen-Kreuzweg. Erst verliert sie den Vater bei einem Sprengstoffattentat, dann muss die Familie ins Flüchtlingscamp, wo die Mutter Opfer eines Massakers wird.
Der Autor, in Ägypten geboren, war später für eine kanadische Zeitung als Kriegskorrespondent in Afghanistan und projiziert das dort gesehene Leid nun in „God's Own Country“. Und man weiß kaum, was man an diesem Romandebüt mehr bewundern soll: die atmosphäresatten Milieustudien aus einer Endzeit-Einöde mit ihren miesen Kaschemmen und nächtlichen Gladiatorenkämpfen – oder das schonungslose Porträt von Sarat.
Früh landet sie im Lügennetz des Menschenfischers Albert Gaines. Im Camp heuert er sie für riskante Botengänge an, schenkt ihr ein Messer und Schmeicheleien: „Ich glaube, du wirst auf dieser Welt einen Platz für dich schaffen.“
Ein prophetischer Satz, denn das große, muskulöse, später kahlköpfige Mädchen wird allmählich zu einer unerbittlichen Kampfmaschine. Anfangs gibt es in diesem harten Buch noch Auszeiten vom Grauen – romantisch-gefährliche Ausflüge mit ihrem Campgenossen Marcus, der sich später den Nordstaatentruppen anschließt.
Doch als Sarat zur äußerst erfolgreichen Killerin mutiert, wird sie denunziert. Im „Camp Saturday“ will man die Namen aller Verbindungsleute aus ihr herausfoltern, wobei El Akkad es schafft, mit spärlichen Andeutungen der Gewaltexzesse maximale Schockwirkung zu erzielen. Nach Ende des mehr als 20-jährigen Kriegs kehrt eine lichtscheue, rachsüchtige Außenseiterin in ihre Heimat zurück. Wieder keimt kurz Hoffnung auf, als sie Zutrauen zum kleinen Sohn ihres kriegsversehrten Bruders fasst. Doch man ahnt, dass dieses Idyll zerbricht und Sarat der Geschichte ihres Landes eine apokalyptische Wendung gibt.
Omar El Akkad, der heute in Portland/Oregon lebt, sorgt mit kunstvoll eingeschobenen Dokumenten für die verblüffende Glaubhaftigkeit seiner „Geschichtsschreibung“. Er wagt einen unüberhörbaren Weckruf an Amerika und lässt uns über Opfer und Täter nachdenken. Denn Sarat, die Schreckliche, war einst ein kleines Mädchen, das Honig auf den Boden kleckerte.
Omar El Akkad: American War. Roman, aus dem Amerikanischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, S. Fischer, 443 S., 24 Euro.