Bonner Schauspielsaison 2017/2018 Der WCCB-Skandal auf der Theaterbühne

Bonn · Insgesamt 15 Premieren hat Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp am Freitag bei der Spielplankonferenz im Opernhaus vorgestellt, darunter Neues von Thomas Melle und Julie Zeh

Das postfaktische Zeitalter lässt grüßen: Passend zu den neuen „Wahrheiten“ der Trump-, Le Pen- und Erdogan-Ära nimmt sich die Schauspielsparte des Theater Bonn unter dem Motto „Wir brauchen dringend neue Lügen“ in der kommenden Spielzeit literarischen Irrungen und Wirrungen an, erzählt von den notorischen Vettern und Cousins Pinocchios und Münchhausens. Insgesamt 15 Premieren hat Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp am Freitag bei der Spielplankonferenz im Opernhaus vorgestellt – eine mutige Stückauswahl, die nicht nur thematisch, sondern auch historisch überaus modern ist. Abgesehen vom Ur-Roman „Don Quijote“, dem sich Hajo Tuschy nach seinem Erfolg mit Fjodor Dostojewskis „Der Spieler“ nun schon am 10. September in der Werkstatt des Theaters annehmen wird, ist keiner der Texte älter als 100 Jahre. Auf viele Klassiker kann sich das Publikum also nicht freuen, wohl aber auf ein reizvolles zeitgenössisches Programm, das die Aufgabe des Theaters, gesellschaftsrelevante Fragestellungen zu behandeln, nachdrücklich widerspiegelt.

Schon der Auftakt der Spielzeit rührt an einem Bonner Reizthema: In „Bonnopoly“ (9.9.) arbeitet Regisseur Volker Lösch, der mit den „Waffenschweinen“ sein Talent für Recherchestoffe bereits hinlänglich unter Beweis gestellt hat, den WCCB-Skandal dramatisch auf. Ein ambitioniertes Projekt, sind doch die Untiefen beträchtlich, die lokalpolitischen Verstrickungen immens und die tatsächlichen Geschehnisse selbst von der Justiz nicht vollständig durchdrungen. Andererseits hat das Theater Bonn immer wieder gezeigt, dass es auch solche Komplexe mit Fingerspitzengefühl aufzubereiten weiß, etwa bei Thomas Melles „Bilder von uns“, das von dem jahrelangen Missbrauch von Schülern am Bad Godesberger Aloisiuskolleg inspiriert worden war.

Melle wird übrigens in der kommenden Spielzeit ebenfalls wieder präsent sein. In „Der letzte Bürger“ (25.1.) beschreibt er eine Familie, deren Familienglück zerspringt, als der Vater als DDR-Spion entlarvt wird. Das Idyll wird zum Trauma, aus dem heraus die Suche nach Antworten beginnt. Dieser Ansatz findet sich auch in anderen Stücken: Lebenslügen, die unter der Oberfläche am Fundament einer Gesellschaft ätzen und nur moralische Gerippe zurücklassen, finden sich etwa in Juli Zehs „Unterleuten“ (23.11.) über ein kleines Dorf in Brandenburg; in der Inszenierung von Jan Neumann wird übrigens Max Moor, Moderator von „Titel Thesen Temperamente“ und Landwirt aus Leidenschaft, erstmals seit längerer Zeit wieder auf der Bühne stehen. Auch Ödön von Horvaths Gesellschaftssatire „Zur schönen Aussicht“ (20.4.18) greift das Thema auf und zeigt zerbrochene Existenzen, die in einem Hotel als Zweckgemeinschaft hausen und doch nur auf den eigenen Vorteil aus sind.

Nur wenige wehren sich gegen den Zerfall einer Gemeinschaft. „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (22.9.) tut dies, auch wenn die Brecht'sche Figur letztlich scheitert; gleiches gilt für den skurrilen „Supergutman“ (27.1.18) aus der Feder Lukas Lindners und für das Ehepaar Quangel, das in Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (22.3.18) mit Postkarten gegen Hitler protestiert. Auch Johann Wilhelm Möbius, der die Weltformel entdeckt hat und sich aus Angst vor einem Missbrauch in eine Nervenklinik hat einweisen lassen, führt in Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ (4.11.) einen Kampf gegen Windmühlen – der aber trotzdem ausgefochten werden muss.

Komplettiert wird das Programm durch Werner Schwabs gnadenlos gute Groteske „Die Präsidentinnen“ (6.10.), Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ (22.2.18), Elfriede Jelineks Reaktion auf das Charlie-Hebdo-Attentat („Wut“; 17.5.2017) sowie Lothar Kittsteins „Schlafende Hunde“ (30.5.2017). Außerdem wird sich Christina Schelhas mit dem 200. Geburtstag der Universität Bonn auseinandersetzen („Als Nietzsche noch vor dem Regal stand“, 26.1.18), während Gavin Quinn ein Projekt mit dem Titel „Der Amerikanische Traum“ in Angriff nimmt (12.4.18).

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