Wiebke Siem im Kunstmuseum Bonn Die Gegenspielerin
Bonn · „Das maximale Minimum“ ist im Bonner Kunstmuseum zu besichtigen. Wiebke Siem zeigt ihre Arbeiten der vergangenen 40 Jahre. Sie zeugen von Kampfeslust. Wobei ihre Auseinandersetzung mit tradierten Sichtweisen und Rollenbildern nicht bierernst daherkommt.
Wer Wiebke Siem trifft, erlebt eine quirlige und erzählfreudige Künstlerin, kampfeslustig und mit viel Sinn für Humor. Die von Barbara Scheuermann kuratierte Ausstellung „Das maximale Minimum“, die jetzt eröffnet wird, erzählt von Siems künstlerischen Stationen der vergangenen 40 Jahre, in der sie mit großer Konsequenz als Gegenspielerin tradierter – sprich männlicher – Sichtweisen und Rollenbilder aufgetreten ist.
Das wird gleich im ersten Raum mit Arbeiten deutlich, die als ironische Replik auf die Studienzeit an der Hamburger Kunsthochschule ihre Herangehensweise verdeutlichen. Zu sehen sind „Kleider“, „Hüte“ und Zeichnungen, mit denen sich Siem Mitte der 1980er Jahre mit Franz Erhard Walther, der damals Lehrer an der Hochschule war, auseinandersetzt. Siems Antwort auf Walthers konzeptionelle Textilarbeiten sind nach Burda-Heften selbst geschneiderte Kleider und Kostüme, die von ihren Freundinnen in der Stadt getragen und damit ins Leben geholt wurden. „Walther war ein Chauvi, der nicht glaubte, dass Frauen Kunst machen können“, erzählt Siem, „und ich habe mir dann überlegt, dass ich mit banalen Schnittmuster-Kleidern darauf antworte“.
Einfacher Schnitt voller Anspielungen
Mit Mode habe das überhaupt nichts zu tun, darauf besteht die Künstlerin vehement. Ihre Kleider sind zwar einfach geschnitten, stecken aber voller Anspielungen, von Mondrian bis zu den russischen Konstruktivistinnen. Ähnliches gilt für die 12 „Hüte“, die aufgereiht im Regal liegen. Hier hat Siem die postmoderne Designsprache in Schaumstoff und Jersey übertragen und ironisiert.
Auch beim Betreten des nächsten Raumes wird man das Körperhafte dieser Kunst direkt zu spüren bekommen. An der Wand lehnen menschengroße Puppenfiguren, in der Mitte liegt großflächig ein heller Filzteppich und an den Seiten erkennt man riesige stilisierte Spielzeuge (Wippe, Kreisel und Ball) aus Holz. Ob man sich angesichts der Überdimensionierung der Gegenstände als Erwachsener in eine kindliche Perspektive versetzen möchte oder sich stark an die Theaterkostüme von Oskar Schlemmer erinnert fühlt – es schließt einander nicht aus.
Siem geht vom Alltäglichen aus und entwickelt ihre eigenen Verfremdungsstrategien. Die Wirkung der Arbeiten verschiebt sich oft ins Surreale und, insbesondere wenn es um ganze Zimmereinrichtungen geht, ins Unbehagliche. Im Schlafzimmer ist die Decke des Bettes zurückgeschlagen, aus dem Kleiderschrank quillt etwas heraus und der Stuhl liegt seitwärts am Boden. Welche Geschichte, in der aus dem Bekannten etwas Rätselhaftes geworden ist, wird hier erzählt?
Kopierte afrikanische Volkskunst
Auch das Esszimmer hat sich verändert. An den Wänden, auf Buffet und Tisch stehen nachgebildete afrikanische Fetischfiguren, Voodoo-Puppen und Masken, die den Raum in ein ethnologisches Museum verwandeln. Erst nach und nach bemerkt man, dass alle Objekte aus Gegenständen des häuslichen Umfeldes zusammengefügt wurden, darunter Besen, Wäscheklammern, Schneidbretter und Löffel. Die Hausfrau ist in dieser Installation von 2008 zur „Fälscherin“ – so der Titel – geworden, die afrikanische Volkskunst kopiert. Zugleich befragt Siem den kolonialistisch geprägten Blick auf außereuropäische Kulturen, der in der frühen Moderne der Kunstgeschichte dem männlichen Blick auf die Frau gleicht.
Von der Diskussion, die heute über die Sammlungen in den Völkerkundemuseen geführt wird, lässt sich ohne Weiteres die Brücke schlagen zu Siems Arbeiten. So verkörpern die lebensgroßen „Maskenfiguren“ den Einfluss afrikanischer Masken auf Künstler der Moderne – ein Topos der westlichen Kunstgeschichte. Nicht zuletzt lädt Siem ihr Publikum in dieser Ausstellung auch ein, am Spiel direkt teilzunehmen. Die Installation „Der Traum der Dinge“ besteht aus hölzernen Alltagsgegenständen, aus denen sich Hängefiguren bauen lassen. „Ich nehme mich als Künstlerin zurück und überlasse den Besuchern das Feld.“
Kunstmuseum Bonn, Helmut-Kohl-Allee 2, bis 17. September. Di–So 11-18 Uhr, Mi 11-21 Uhr. Katalog im Hirmer Verlag, Museumspreis 25 Euro; mehrere Führungen zum Museumsmeilenfest am 3./4.6. sowie um 20.30 und 22.30 Uhr in der Kunstnacht am 3.06., Intendantenführung mit Stephan Berg am 11.6. um 11 Uhr.