Buchtipp: Politik und Architektur Die Inszenierung der Macht

Bonn · Was die Sitzordnung über das Kräftespiel im Staatstheater des Parlaments aussagt. Eine Studie von Christoph Schönberger.

Staatakt für Wolfgang Clement im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in Bonn. Foto: Marcel Kusch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Staatakt für Wolfgang Clement im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in Bonn. Foto: Marcel Kusch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Marcel Kusch

Als sich die junge Bundesrepublik in Bonn konstituierte, prallten mehrere Meinungen aufeinander, wie denn die Volksvertreter sitzen sollten, wie sich die junge, unerfahrene Demokratie nach außen präsentieren sollte. Da war der Architekt Hans Schwippert, der den Umbau der Pädagogischen Akademie zum Sitz des Bundestags realisieren sollte: Mit seiner Vision wollte er den Neubeginn aus Ruinen und den klaren Bruch mit Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus symbolisieren – Schwippert schwebte ein weithin verglaste Baukörper mit einem kreisrunden, von innen nach außen ansteigenden Plenum vor. Abgeordnete aller Parteien, Regierung und Bundesrat in einem gemeinsamen Rund. Ein Neuanfang.

Dem sich Konrad Adenauer, unter anderem Präsident des Parlamentarischen Rats, widersetzte. Adenauer hatte 1918 noch dem preußischen Herrenraus angehört, wollte nach 1945 an die Vorkriegstradition anknüpfen und nicht gleich zu so radikalen Neuerungen greifen. Also übernahm man das Plenardesign des Reichstags.

Wie sich die Regierung inszeniert

Zwei Meinungen, die zu zwei architektonischen Entwürfen mit jeweils unterschiedlichen Sitzordnungen führen und Fragen stellen, wie sich die jeweilige Macht inszeniert. „Der genauere Blick auf die Sitzordnung im Plenarsaal ermöglicht eine gleichsam taktile Erfassung der spezifisch deutschen Traditionen und Verhältnisse“, schreibt Christoph Schönberger, „in der parlamentarischen Raumordnung treten Eigenheiten und Merkwürdigkeiten der Demokratie in der Bundesrepublik besonders hervor und werden im wörtlichen Sinne greifbar“. Der Kölner Professor für Staatsrecht, Staatsphilosophie und Recht der Politik, Christoph Schönberger, hat mit seinem Buch „Auf der Bank. Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments“ eine fesselnde Studie über mehr oder weniger demokratische Sitzordnungen in westlichen Demokratien vorgelegt. Der Plenarsaal als symbolischer Ort.

Schönberger erinnert im Fall Bonn auch an den Charakter des „vermeintlichen Provisoriums“: Ein Saal mit Vortragsbestuhlung habe leichter und billiger einer anderen Nutzung zugeführt werden können, etwa als Konzertsaal.

Das Design des alten Reichstags

Der Rückgriff in erster Linie strukturelle Gründe. „So lebte auch in der jungen Bundesrepublik die in die Präsidiumsseite eingeschmolzene Regierungsbank fort, wie sie der geheime Baurat Heinrich Herrmann einst in der Bauabteilung des preußischen Handelsministeriums für den Berliner Reichstag entworfen hatte“, schreibt Schönberger. Schwipperts zunächst abgelehnte Rundlösung sollte sich später in etliche Länderparlamenten und in Behnischs Bonner Plenarsaal durchsetzen.

Das Bonner Bundeshaus war so konzipiert: In einem Halbkreis saßen die Abgeordneten der erhöhten Stirnseite des Präsidiums frontal gegenüber. Der Präsident logierte acht Stufen über dem Saalboden, zwei Stufen tiefer stand das Rednerpult. Rechts vom Präsidenten war  die um sechs Stufen über dem Saalboden erhöhte Regierungsbank mit 60 Plätzen für Minister, aber auch ein Heer von Beamten, die sogenannten Büchsenspanner, angesiedelt. Links vom Präsidenten stand in gleicher Höhe die Bundesratsbank. Die gesamte Präsidiumsseite war mit dunklen Eichenholzpaneelen verschalt, was an den alten Reichstag erinnerte. Die Hierarchie maß sich in Höhensrufen, die Regierung positionierte sich höher als das Parlament. Wollte ein Abgeordneter mit einem Minister sprechen, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen und zu ihm aufblicken. Der Minister schaute auf ihn herab.

Parlamentarische Praxis

Die meisten Landtage kopierten damals die Bonner Vertikalhierarchie, die aus dem Kaiserreich stammte, besonders ausgeprägt etwa im Düsseldorfer Ständehaus, wo 1949 bis 1988 der NRW-Landtag zusammentrat. Die Sitzordnung im Bundeshaus fand auch in der parlamentarischen Praxis ihr Gegenstück, wie Schönberger anmerkt: So habe es Debatten gegeben, in denen zunächst zwei Bundesminister, dann der Bundeskanzler, dann ein Parlamentarier aus den Regierungsfraktionen schließlich, erst als fünfter, ein Vertreter der Opposition sprechen durfte. Die Sitzordnung im Bundeshaus widersprach gleichwohl dem Gedanken der neuen Verfassung: „Das Grundgesetz verfasst ein parlamentarisches Regierungssystem, in dem die Bundesregierung vom Vertrauen des Parlaments abhängt.“

Die Sitzordnung, insbesondere die erhöhte Regierungsbank, stand seit den 50er-Jahren in der Kritik. Insbesondere die Daueropposition SPD um den jungen Hamburger Abgeordneten Helmut Schmidt wetterte dagegen. Man schielte zum House of Commons in Westminster, beschloss 1961 sogar, Haushaltsmittel für den Umbau des Bonner Plenarsaals nach britischem Vorbild bereitzustellen, verwarf die Pläne aber wieder. Die erste Große Koalition (1966-1969) brachte die Wende. Helmut Schmidt (SPD) und Rainer Barzel (CDU) verkörperten parlamentarisches Selbstbewusstsein auch gegenüber der eigenen Regierung: Regierungs- und Bundesratsbank wurden tiefer gelegt, und logierten nur noch eine Stufe über dem Saalboden.

Widerstand gegen die Sitzordnung

Die Unzufriedenheit mit der Sitzordnung blieb, floss in die seit 1977 laufenden Planungen für den Bundestagsneubau von Günter Behnisch. Schwipperts Idee vom runden Plenarsaal als Idee einer antihierarchisch-egalitären Parlamentsarchitektur lebte wieder auf. Eine kurze Blüte. Als der Bundestag 1992 einzog, war der Umzug nach Berlin bereits beschlossen. Im Reichstag wurde der Kreis dann zur Ellipse und das Gegenüber von Präsidiumsseite mit Regierung und Bundesrat einerseits, Plenum andererseits wieder stärker betont. Die Präsidiumsseite ist um eine Stufe erhöht, „ein gleichsam verdruckstes Vorrangssignal“ (Schönberger) und eine räumliche Erinnerung „an jene hoch aufragende Regierungsbank, auf der die deutschen Kanzler von Bismarck bis Kiesinger einst im Parlament thronten“. Die Sessel auf Regierungs- und Bundesratsbank entsprechen der Ausstattung nach übrigens den Abgeordnetenplätzen. Architekt Norman Foster hat dafür ein „Reichstags-Blue“ definiert. Nur der Sessel des Bundeskanzlers und symmetrisch dazu des Bundesratspräsidenten haben eine erhöhte Rückenlehne. Eine Erinnerung an den alten Herrscherthron.

Christoph Schönberger: Auf der Bank. Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments. C.H. Beck, 282 S., 29.95 Euro.

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