Ausstellung im Künstlerforum Die Mühlen der Erinnerung

Bonn · Das spannende deutsch-israelisch-palästinensische Ausstellungsprojekt „Echo of Memories“ im Künstlerforum Bonn bietet ein Stück Erinnerungskultur aus unterschiedlichen Perspektiven.

 Toxische Männlichkeit und kinetische Erinnerungssplitter: Ein Bildpanorama und Figuren von Merav Kamel und Halil Balabin treffen im Künstlerforum auf die riesige Maschine des Wachtbergers Willi Reiche.

Toxische Männlichkeit und kinetische Erinnerungssplitter: Ein Bildpanorama und Figuren von Merav Kamel und Halil Balabin treffen im Künstlerforum auf die riesige Maschine des Wachtbergers Willi Reiche.

Foto: Benjamin Westhoff

Wie funktioniert Erinnerung? Und wie manifestiert sie sich? Im Künstlerforum sind gleich im Entree Geräusche zu hören, man sieht schemenhafte Videobilder von okkulten SS-Anhängern aus Estland, die Krieg spielen. Es wird an Hitlers sagenumwobene Wunderwaffe „Die Glocke“ erinnert, eine Zeitmaschine der Nazis. Der in Heidelberg und Amsterdam lebende Künstler Joscha Steffens zeigt in seiner Arbeit „Uchronia (Totale Erinnerung)“ auch SS-Feldpostbriefe seines Großonkels Guido, der seiner Frau von der Wunderwaffe berichtet. Ein schauriger Auftakt zu der von Ilka Wonschik und Cornelia Renz kuratierten Ausstellung „Echo of Memories“, in der 15 deutsche, israelische und palästinensische Künstler ihre Statements zum Thema präsentieren.

Kaum ein Werk geht so unter die Haut wie die Recherche des Israelis Zvi Tolkovsky über das verlassene palästinensische Flüchtlingslager Nueima, das Tolkowsky dokumentierte, bevor die israelischen Planierraupen anrückten. Man sieht rührende Versuche der ehemaligen Bewohner, dort ein Stück Heimat zu finden, und Kinderzeichnungen, die die alltägliche Gewalt spiegeln.

Weder Mann noch Frau

Während die riesige kinetische Maschine „Blowin‘ in the Wind“ des Wachtbergers Willi Reiche assoziationsreich durch Jahrzehnte deutscher Geschichte rattert, erzählen die Bilderpanoramen und Stofffiguren des Tel Aviver Künstlerduos Merav Kamel und Halil Balabin von unterdrückter Sexualität und einer toxischen, gewalttätigen und Testosteron-gesteuerten Männlichkeit. Als „non-binary“, weder Mann noch Frau, weder Israeli noch Palästinenser, sieht sich der in Tel Aviv lebende Künstler Raafat Hattab, der seine Zerrissenheit eindrucksvoll in der Videoarbeit „Houria“ dokumentiert. Sie korrespondiert perfekt mit dem Video „OU“ der ebenfalls in Tel Aviv lebenden Raya Bruckenthal, die sich wiederum auf das orthodoxe Judentum bezieht. Die Comic-Figur Miss Piggy tritt in dem Video auf und berichtet von ihren gesellschaftlichen Schwierigkeiten in Israel – als Schwein und Frau. In den Arbeiten der in Leipzig lebenden Israelin Nasrin Abu Baker ist ebenfalls eine große Zerrissenheit zu spüren. Palästinensisch sind ihre Wurzeln, die Identität israelisch, der Fokus richtet sich auf die Stellung der Frau in der arabischen Gesellschaft.  Zur Eröffnung der Schau hatte die Israelin Adva Drori ihre Performance „Dusza“ im Künstlerforum gezeigt, bei der sie Brote mit dem Davidstern stempelt, backt und unter den Besuchern verteilt. Sie macht Fotos von den Besuchern und konserviert die Erinnerungen, indem sie die Bilder auf ein Kleid näht.

Kollektive Ängste

Reste des „Dusza“-Rituals werden von zwei sehr eindringlichen Installationen der 2021 gestorbenen Bonnerin Heide Pawelzik flankiert, „Lazarett“ und „Blütezeit“. Faszinierend auch, wie Belle Shafir, Tochter polnischer Holocaust-Überlebender, ihre gezeichneten Kindheitserinnerungen in der großartigen Installation „Generation Legacy“ und im Video „Subortus“ verarbeitet oder wie die Israelin Maria Saleh Mahameed mit Kohle auf einer riesigen Leinwand die Ängste einer werdenden Mutter formuliert: „Death of the Son“ bündelt diese Furcht aus der kollektiven und persönlichen Erinnerung und wirft ein Licht auf die Chancenungleichheit, was die medizinische Versorgung angeht.

Was passiert, wenn man einen Teppichläufer quer über einen Fußweg im Central Park in New York legt? Das Video der Israelin Fatma Shanan zeigt: Kaum jemand berührt den Teppich. Offenbar gibt es ein kollektives Einverständnis, das nicht zu tun.

Erinnerung pur ist in den filigranen Bleistiftzeichnungen der Flensburgerin Hanna Hennenkemper angelegt: Sechs Mal zeichnet sie einen bizarren Bleiguss ab, jedes Mal aus einer anderen Perspektive. Und es entstehen sechs Bilder, die quasi nichts miteinander zu tun haben – ein geistiges Band verbindet sie.

Wonschiks verstörende Erinnerungs-Echos funktionieren ähnlich. Eine komplexe, denkwürdige Ausstellung.

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