Tierfilmer Andreas Kieling im GA-Interview Die Sehnsucht nach Natur

BONN · Der Tierfilmer Andreas Kieling präsentiert in der Bonner Oper sein aktuelles Vortragsprogramm „Im Bann der wilden Tiere“

 Selbstporträt: Andreas Kieling

Selbstporträt: Andreas Kieling

Foto: Andreas Kieling

GA: Herr Kieling, eine banale Frage gleich zu Beginn: Wie filmt man Tiere?

Andreas Kieling: Banale Antwort: Man besorgt sich das BBC-Buch „Die zehn goldenen Regeln des Tierfilmes“, kauft eine Kamera – und zieht los.

GA: Wie lauten diese Regeln?

Kieling: Der Klassiker: Filmkamera steht, Tier läuft quer ins Bild, Kamera schwenkt mit, Kamera stoppt, Tier läuft aus dem Bild.

GA: Damit machen Sie heutzutage keine Quote. Moderne Tierfilmer setzen eher auf Spannung und großes Drama, oder?

Kieling: Das ist richtig. Heutige Filme erinnern an die klassische Heldenreise. Tierfilme haben mit Leidenschaft zu tun, auch mit Sehnsucht nach Natur.

GA: Wie aber bekommt man Tiere dazu, die Wünsche eines Tierfilmers zu befolgen?

Kieling: Anders herum: Der Tierfilmer muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ich verbringe sehr viel Zeit an den Naturschauplätzen, aber: „Zeit“ heißt nicht „Warten“.

GA: Sondern?

Kieling: Ich muss mich erden, ein Gefühl für die Landschaft bekommen, den Lebensraum, die Tiere. Man beobachtet zunächst aus der Entfernung und wartet ab, ob man näher ran kann. Und irgendwann kommt der Erfolg.

GA: Wie wichtig ist das Basiswissen über Tiere?

Kieling: Sehr wichtig. Das theoretische Wissen kann sich jeder aneignen. Hinzu kommt jedoch das intuitive Verhalten. Als ich den ersten Grizzlybär meines Lebens sah, bin ich zur Salzsäure erstarrt.

GA: War das am Yukon, den Sie 1991 von der Quelle bis zur Mündung bereist haben?

Kieling: Ja. Ich stand da und habe nur leicht gehaucht, um zu sehen, wie der Wind steht. Der Wind bewegte sich auf mich zu. Das heißt, der Bär hatte keine Witterung aufgenommen, er zog einfach weiter.

GA: Was hätten Sie getan, wenn der Bär Sie gewittert hätte? Auf den Boden fallen lassen, kleinmachen und tot stellen?

Kieling: Die Frage stellt sich anders: Was tut dieser Bär? Und zwar völlig unabhängig von meiner persönlichen Angst, die ich damals hatte, weil mein Kopf voll war mit all diesen Geschichten über böse wilde Tiere.

GA: Ist das Verhältnis zwischen Mensch und Tier also ein großes Missverständnis?

Kieling: Wir jagen Tiere, kategorisieren sie in Gut und Böse. Und gehen davon aus, dass Tiere genauso sind wie wir. Doch sie sind ganz anders.

GA: Wie versetzt man sich in die Gefühlswelt von Tieren?

Kieling: Nun, der Bär hält mich für einen anderen Beutegreifer. Einen Wolf oder einen Luchs etwa. Und Beutegreifer gehen sich normalerweise aus dem Weg. Es sei denn, man beansprucht dieselbe Beute. Aber auch das hat eine Ordnung: Der Stärkere bedient sich zuerst.

GA: Was haben die Bonner von Ihrem Vortrag in der Oper zu erwarten?

Kieling: Der erste Teil spielt in der Eifel – ich zeige einen der aufwendigsten Filme, die ich jemals gedreht habe. Den Kampf zweier Keiler. Ich habe vier Jahre auf den richtigen Moment gewartet, um diesen Kampf bei Tageslicht filmen zu können. Ein grandioses Dokument.

GA: Was war so aufwendig?

Kieling: Ich habe die Tiere jeweils in der Paarungszeit Ende November, Anfang Dezember beobachtet. Hin und wieder habe ich Futter mitgebracht. Irgendwann wussten sie, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Die Alphabache hat mich für freundlich befunden. Danach ging es nur noch um die Frage, wann zwei starke Keiler aufeinandertreffen.

GA: Gibt es also noch richtige Wildnis in Deutschland?

Kieling: Auch das ist Thema des Vortrags. Wie sieht es mit unserer Natur aus, wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Welche Spezies ist gegangen, welche dazugekommen?

GA: Im zweiten Teil ist Alaska der Schwerpunkt?

Kieling: Ja. Und es geht um eine ähnliche Situation, den Kampf zweier Eisbären. Wir zeigen nicht nur Bilder, wir erzählen Geschichten, greifen Themen mehrmals auf. Etwa die Geburt der Elchkälber im Frühjahr.

GA: Die aktuelle Tournee haben Sie vor zwei Wochen in Bremen gestartet. Wie war’s?

Kieling: Es war ein Samstag, es kamen viele junge Menschen, Familien mit Kindern. Es ist mir wichtig, ein Verständnis für Tiere, Lebensräume und Umweltschutz zu wecken. Deshalb gehe ich regelmäßig auch in Schulen.

GA: Geht das Interesse an Natur verloren?

Kieling: Wir leben in einer sehr urbanen Welt und nehmen die Natur oft nur durch die Medien wahr, anstatt sie durch eigene Beobachtungen zu erfahren. Man muss dazu nicht ins Okawango-Delta reisen, die Natur in den Bonner Rheinauen kann auch ein intensives Erlebnis sein.

GA: Was entdeckt man dort?

Kieling: Sehr viel. Man muss nur bereit sein, für eine Stunde sein Mobiltelefon auszuschalten und ein Fernglas mitzunehmen. Und reinlauschen in die Natur – sehen, hören, riechen. Man wird erstaunt sein. Vögel, Insekten, Amphibien. Und man erzählt es weiter: „Stell‘ dir vor, ich habe einen Austernfischer gesehen, unten am Rhein! Sah aus wie ein kleiner Storch, rote Beine, roter Schnabel, der Hammer!“

GA: „Und als ich mit ihm ein Selfie machen wollte, war er plötzlich weg“ …

Kieling: Trotzdem: Man prägt sich das Tier ein und kann es in einem Vogelbestimmungsbuch – oder halt über Google – identifizieren. Und schon ist die Leidenschaft entfacht.

GA: Warum leben Sie in der Eifel?

Kieling: Es ist meine Heimat geworden. Ich kam 1982 als junger Förster in die Eifel und habe dort ein Revier übernommen. Ein toller Lebensraum mit vielen seltenen Tieren. Es gibt Schwarzstörche, Geburtshelferkröten, Haselhühner, Fadenmolche.

GA: In Ihrer Nachbarschaft in Hümmel lebt noch eine andere besondere Spezies: Peter Wohlleben, der Förster und Bestsellerautor. Tauschen Sie sich am Gartenzaun mit ihm aus?

Kieling: Wir können uns zuwinken. Auch ein Mensch, der sich mit der Natur auseinandersetzt. Seine Erfolge zeigen, dass es in Deutschland diese Sehnsucht nach Natur gibt.

GA: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Kieling: Ein Film über Luchse in Bayern und Böhmen. Ich komme gerade aus dem Ostkongo zurück, dort habe ich Flachlandgorillas und Schimpansen gefilmt. Es ist ein gesetzloses Gebiet, um Naturschutz kümmert sich dort niemand. Und im April geht es nach Madagaskar.

GA: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Leben als Tierfilmer?

Kieling: Ja, und ich muss oft an die Anfänge in der DDR denken. Mein erstes Tierfoto habe ich mit fünf oder sechs Jahren gemacht.

GA: Wen haben Sie fotografiert?

Kieling: Mein Meerschweinchen Hansi. Schwarzweiß, mit einer Exa-Kamera aus Dresden. Ich habe Hansi auf den Tisch gesetzt und ihn auf Augenhöhe fotografiert. Also nicht von oben nach unten.

GA: Wer hat seinerzeit Ihre Abenteuerlust entfacht?

Kieling: Jack London, Ernest Hemingway, Mark Twain. Und natürlich „Robinson Crusoe” von Daniel Dafoe. Bücher haben mich früh geprägt. Aber auch Flüsse haben mich immer magisch angezogen, das tun sie heute noch. Im Sommer bin ich mit meinen Söhnen den Rhein runtergepaddelt. Wir wollten von Worms bis nach Rotterdam.

GA: Wie weit sind Sie gekommen?

Kieling: Leider nur bis Remagen. Das Wetter hat uns einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir werden die Tour demnächst vollenden.

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