Der Rampen-Eber und das Pokerface Die Sparks grooven im Gloria in Köln

Der Groove war nie weg: Im Kölner Gloria ziehen die Sparks-Brüder Russell und Ron Mael alle Register und begeistern das sehr gemischte Publikum. Selbst Keyborder Russell lässt sich irgendwann zu einer Bewegung hinreißen.

 Mit Mikro und Krawatte: Die Sparks-Brüder im Gloria.

Mit Mikro und Krawatte: Die Sparks-Brüder im Gloria.

Foto: Thomas Brill

Fast eine Stunde lang hat Ron Mael fast unbeweglich dagesessen. Mit starrem Oberkörper und einem Gesicht, in dem sich kein einziger Muskel regt. Nur die Hände, die die Tasten bedienen, gehen auf und nieder. Es könnte sich auch um eine Musikautomatenpuppe mit der Anmutung eines biederen Finanzbeamten handeln. Doch dann, bei „No. 1 Song In Heaven“, um kurz vor 22 Uhr, gellen Schreie des Entzückens durchs Gloria: „Er bewegt sich!“ Und nicht nur das. Der 72-Jährige entledigt sich seiner Krawatte, beugt den Oberkörper vor, legt einen, für seine Verhältnisse, wilden Schlenkertanz mit den Armen hin.

Als die Sparks Mittwoch im Club an der Apostelnstraße auftreten, sind die Rollen klar verteilt. Sänger Russell Mael (69) macht den Rampen-Eber, sein älterer Bruder das Pokerface am Keyboard. Dass das Duo (live ergänzt durch fünf Musiker, die für jede Menge Druck sorgen) 46 Jahre nach Bandgründung noch immer aktiv ist, ist keineswegs so selbstverständlich. Andere, deren Wurzeln gleichfalls in den 1970ern liegen, haben das nicht geschafft. Oder wenn, dann nicht mit so viel Frische und so viel Offenheit für Neues wie die Geschwister aus Kalifornien.

In „The Rhythm Thief” fragt Russell Mael: „Where did the groove go?” Als Antwort darauf genügt ein Blick ins Publikum. Unter den 500 Enthusiasten sieht man nicht bloß Fans der ersten Stunde, denen das Album „Kimono My House“ (1974) als Party-Soundtrack diente, sondern auch Twens, die jede Zeile von alten Songs wie „Propaganda“ (1974) mitsingen können. Was echt keine der leichtesten Übungen ist. Beim MTV-Hit „When Do I Get To Sing My Way” (1994) oder bei ganz neuen Stücken von „Hippopotamus“ (2017) – darunter die perlende Liebeserklärung „Edith Piaf (Said It Better Than Me)“ – gehen beide Altersgruppen gemeinsam ab wie Schmitz' Katze. Der Groove war nie weg. Er ist hier. Und er zündet generationenübergreifend.

Aus der Musik der einstigen Glam-Rock-Heroen (die zwar aus den USA stammen, aber 1973 nach England zogen, um dort drei Jahre zu verweilen) kann man so unendlich vieles herausschmecken. Die Tendenz zum Kunstvollen, Skurrilen und Extravaganten, zum dramaturgisch Verschachtelten und Verwinkelten, bereichert durch Einflüsse aus dem Elektronischen. Dazwischen Drehungen unter der Discokugel. Mitunter klingt das auch sehr poppig, aber niemals platt, es wird gleichsam geadelt durch ein Faible für die Ornamentik des Orchestralen. Im Gloria ziehen die Sparks alle Register.

Kurz vor Schluss gibt es das, worauf alle gewartet haben: „This Town Ain't Big Enough for Both Of Us“. Kultiger und hymnischer geht's nicht. Wen kümmert's da, dass Russell Maels Falsett ein kleines bisschen stumpfer klingt als 1974? Andere Sänger sind in seinem Alter längst in Rente. Mit knapp 90 Minuten und nur zwei Zugaben ein zwar kurzer, aber dafür umso gehaltvollerer Abend.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort