„Jàchymov – die Macht aus der Tiefe“ Die Tanzwerke Vanek Preuß debütieren mit einem Tanzmonument

Bonn · Der Choreograph und Tänzer Karel Vanek und der Dramaturg und Musiker Guido Preuß arbeiten seit 2009 zusammen und haben dem jetzt eine neuen Namen gegeben: Tanzwerke Vanek Preuß.

 Die Sprache des Körpers: Szene aus der Produktion „Die Sehnsucht der Maybrit Illner“ mit Karel Vanek (l.) und Guido Preuß

Die Sprache des Körpers: Szene aus der Produktion „Die Sehnsucht der Maybrit Illner“ mit Karel Vanek (l.) und Guido Preuß

Foto: Klaus Dilger

Ob Donald Trump das gefallen würde? Ob der Enkel deutscher Auswanderer aus Kallstadt in der Pfalz wohl weiß, dass der Dollar aus einer böhmischen Kleinstadt stammt? Sankt Joachimsthal – die Heimat des deutschen Talers schlechthin – heißt heute Jàchymov, liegt in der Karlsbader Region in Tschechien, zählt rund 2600 Einwohner und hat Geschichte geschrieben. Die Entdeckung des Radiums durch Marie Curie und die Eröffnung des weltweit ersten Radiumsol-Heilbads im Jahr 1906 zählen ebenso dazu wie der Uranabbau für das sowjetische Atombombenprojekt und der tschechische Gulag, in dem sich Zwangsarbeiter und Dissidenten zu Tode schufteten oder später an den Folgen der Radioaktivität starben.

Was mitten hinein führt in „Jàchymov – die Macht aus der Tiefe“. Ein „Tanz-Monument“, wie der tschechische Tänzer und Choreograph Karel Vanek und der Dramaturg, Musiker und Tänzer Guido Preuß die gemeinsame Produktion nennen; inspiriert von einem Besuch der Bergbaustadt Moab im US-Bundesstaat Utah während ihres gemeinsamen Urlaubs im Sommer 2013. „Jàchymov“ ist zugleich das Debüt des neuen Labels „Tanzwerke Vanek Preuß“.

Ein Name, den die beiden sich im Januar 2017 gegeben haben, um der künstlerischen Zusammenarbeit seit 2009 nun auch offiziell Rechnung zu tragen. Oder anders ausgedrückt: 25 Jahre nach Gründung der Compagnie Cerna Vanek Dance mit seiner damaligen (2008 verstorbenen) Partnerin Eva Cerna fand Karel Vanek (Jahrgang 1958), es sei Zeit für eine Veränderung. Er stammt aus dem tschechischen Litvínov, schloss ein Mathematikstudium an der Prager Karlsuniversität ab, bevor er seine Tanzkarriere begann. Sie führte seit 1982 beispielsweise an die Charles University Dance Company Prague, ans Theater Laterna Magika, das Tanztheater Prag, an die Palindrome Dance Company, die New Prague Dancers und das Schweizer Kammerballett.

Das Duo Cerna Vanek Dance debütierte 1991 mit „Little Blue Nothting“. Ein veritabler Triumph: Das Stück wurde in der Tschechoslowakei als „Beste Choreographie des Jahres“ ausgezeichnet und ging anschließend auf Tournee von Paris und Zürich bis nach San Francisco und Montreal. 1997 kamen die beiden mit Pavel Mikulastiks Choreographischem Theater nach Bonn. Und blieben dort auch nach Auflösung des Ensembles 2002.

Cerna Vanek Dance fand eine neue künstlerische Heimat im Kulturzentrum Brotfabrik in Beuel. 23 abendfüllende, zeitgenössische Tanzstücke hat Vanek für die Compagnie produziert – dazu gehören „Mirage“ (2003), „Equinox“ (2004), „No Fear – No Die“ (2005) und „Bodycheck“ (2007). Als Choreograph arbeitete er unter anderem für das Tschechische Fernsehen, das American Dance Festival, für die Kompanie Aura aus Litauen sowie am Teatro Colón/Buenos Aires, an der Opéra National de Lorraine in Nancy und für den WDR Rundfunkchor in Köln.

Guido Preuß (46) hat 1995 sein Studium im Hauptfach Klavier an der Staatlichen Musikhochschule in Freiburg mit Diplom abgeschlossen. Zusätzlich absolvierte er eine private Gesangsausbildung in Freiburg, Berlin und Köln. Er arbeitet heute als freiberuflicher Dramaturg und Musikalischer Leiter , führt seit 20 Jahren Regie und war schon musikalischer Leiter bei zahlreichen Theater-, Tanz- und Musiktheaterproduktionen an staatlichen und privaten Bühnen wie der Oper und dem Theater Marabu in Bonn, dem Colosseum Theater Essen, den Mainzer Kammerspielen, dem Krystallpalast Leipzig und dem Theaterhaus Köln.

2009 gründete er den Filmhaus Chor in Köln, der ausschließlich Stücke aus Kino und Fernsehen im Programm hat, und ist IHK-geprüfter Producer für Fiktionale Film- und Fernsehformate. Seiner Leidenschaft für die Schauspielerei kommt er gelegentlich mit kleinen Rollen in Kino und Theater nach; so wie 2014 in dem Film „Die Erfindung der Liebe”.

„Jàchymov – die Macht aus der Tiefe“ ist die mittlerweile zwölfte Zusammenarbeit von Preuß und Vanek, die auch privat ein Paar sind. Ihre ersten, damals eher beiläufigen und zufälligen Begegnungen führen zurück nach Freiburg in die 1990er Jahre. „Wir haben uns dort in den gleichen künstlerischen Kreisen bewegt. So war es auch nur eine Frage der Zeit, bis wir irgendwann zusammenarbeiten würden“, erinnert sich Preuß beim Gespräch in einem kleinen China-Restaurant unweit der Brotfabrik. Sein Smartphone liegt neben der kleinen, blau-weißen Teetasse, um jederzeit erreichbar zu sein; auch für Karel Vanek, der gerade in Prag die nächsten Weichen für die frisch gegründeten Tanzwerke stellt.

„Goblins“ hieß die damals erste Zusammenarbeit, an die Preuß sich noch immer gern erinnert. Auch wenn anschließend für die nächsten Jahre jeder sein eigenes Ding gemacht habe. Zehn Jahre später allerdings führte die Leidenschaft für Tanz und Theater die beiden wieder zusammen. In diesem Fall die Produktion „Fantom Freedom“ um das Phänomen Freiheit, die 2010 Premiere feierte und gut ein Jahr später mit „Feary Tale“ fortgesetzt wurde. „Weil Freiheit und Furcht wie Geschwister sind. Es geht hier aber um innere Erstarrung aus einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis heraus.“

Ein ähnliches Thema griffen Vanek und Preuß 2012 mit „Susan in Bed“ auf, das wiederum auf Susan Sontags (1991 in Bonn uraufgeführtes) Stück „Alice in Bed“ basiert. Es handelt von Alice James, der Schwester des Romanciers Henry James, die sich für die letzten sieben Jahre ihres Lebens ins Bett zurückzog und so das „Cocooning“ vorwegnahm.

Und ebenso so wie „Fantom Freedom“ und „Feary Tale“ gehen auch die Stücke „Endless Refill“ (2013) und „Machine of Desire“ (2014) eine thematische Verbindung ein. „Es ging uns dabei um scheinbar grenzenlose Verfügbarkeit, von Produkten ebenso wie menschlichen Energiereserven“, fügt Preuß hinzu. „Wir haben uns gefragt, ob wir all das wollen müssen, was wir angeblich wollen könnten.“ Und damit offenbar einen Nerv getroffen: 2015 wurde „Endless Refill“ mit dem Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Doch wie bringt man all diese Gedanken als Tänzer auf die Bühne? Braucht der Zuschauer ein Programmheft, um zu verstehen, was da vor seinen Augen geschieht? Stücke, in denen fast immer eine erfrischende Portion (Selbst)Ironie mitschwingt. Etwa, wenn Vanek sich bei „Jàchymov“ aus dem Off meldet und die Performance mit scheinbar unproduktiven Einwürfen torpediert. Er langweile sich. „Was denn“, fragt Preuß sichtlich irritiert. „Ist dir das jetzt nicht tschechisch genug?“ Und lacht, als er während des Interviews noch einmal darauf angesprochen wird . „Ich halte es mit Friedrich Dürrenmatt, der gesagt hat, dass Humor der letzte Versuch der Objektivierung sei, den man der Welt gegenüber habe.“

Humor braucht Distanz – um sich Fragen zu stellen und zugleich auch sich selbst in Frage stellen zu können. „Wir machen den Zuschauern ein Angebot; um zu interessieren, zu verblüffen und zu einem Feedback einzuladen“, definiert Preuß die Philosophie der Tanzwerke. „Wir öffnen ein Feld, wo Bedeutung möglich, aber nicht erzwungen wird. Wobei die Doppeldeutigkeit des Begriffs Unterhaltung als Gespräch und als Kunstform so tatsächlich nur in der deutschen Sprache existiert“.

Ambivalenz ist letztlich allen Stücken von Vanek und Preuß zu Eigen. „So wie ja auch in der Realität ein Gefühl sich selten in reiner Form äußert“, ergänzt Preuß. „Das Wesentliche spielt sich eigentlich immer zwischen den Zeilen ab. „

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