Ausstellung „Doppelleben“ Bundeskunsthalle präsentiert musizierende Künstler

Bonn · Wenn bildende Künstler auch Musik machen: Die Ausstellung „Doppelleben“ in der Bonner Bundeskunsthalle stellt 50 Einzelkünstler und Gruppen vor, die nicht nur auf der Leinwand rocken.

 Mit dem Song „O Superman“ (1982) hatte die damals außerhalb der Kunstweit kaum bekannte Laurie Anderson ihren Durchbruch in den Charts.

Mit dem Song „O Superman“ (1982) hatte die damals außerhalb der Kunstweit kaum bekannte Laurie Anderson ihren Durchbruch in den Charts.

Foto: Benjamin Westhoff

Eine ganz besondere Matinee 1984 im Wiener 20er Haus: Das zahlreich erschienene Publikum erlebt Josef Danner, Perkussion, und Markus Oehlen am Schlagzeug, wie sie recht holprig den möglichst unsauber, penetrant und vor allem laut gespielten „dreckigen“ Grundakkord von Albert Oehlens und Herbert Brandls E-Gitarre begleiten, als plötzlich Martin Kippenberger wie von der Tarantel gestochen über die Bühne fegt und sich im Gesang versucht. Autor Christian Höller diagnostiziert „eine Mischung aus Punkekstase, anarchischem Veitstanz und selbstironischem Modern-Dance-Gedribbel“. Eine Performance von „The Alma Band“, im Video festgehalten.

Der Maler Kippenberger (seine großartige Retrospektive in der Bundeskunsthalle ist in bester Erinnerung), seine Kollegen Albert und Markus Oehlen sowie Herbert Brandl kennt man in erster Linie aus dem Kontext der bildenden Kunst. Wobei Kippenberger 1979 das Bandprojekt „Luxus“ initiierte, weitere Projekte hießen „Die Rache der Erinnerung“ oder „The Knowhow Rockers“, sich sein Kumpel Albert Oehlen außerdem in Neue-Welle-Kreisen bewegte, in Bands wie „The Red Krayola“ spielte und mit seinem Bruder die Formation „Van Oehlen“ gründete, ansonsten unter dem Pseudonym „Wendy Gondeln“ auftrat.

Musik als Ventil

Für Kippenberger und Albert Oehlen sei das Musizieren keine von der Kunst abgekoppelte Parallelbeschäftigung, sondern „eine Art verlängerter Arm der Malerei“, schreibt Höller im ausgezeichneten Online-Katalog der Ausstellung „Doppelleben. Bildende Künstler machen Musik“, die nach der Premiere in Wien nun in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen ist. Für den einen ist Musik Ventil, wird das Dilettieren zur Leidenschaft, der andere findet hier zusätzliche Möglichkeiten des Ausdrucks.

Mit 50 einzelnen Protagonisten und Gruppen wird das Thema in schönster Ausführlichkeit aufgefächert: Große Projektionswände hängen im Raum, mit dem Kopfhörer kann man sich in den jeweiligen Film einklinken und eintauchen in die Welt kreativer, spielerischer, verrückter, aggressiver Doppelbegabungen. Eine Ausstellung, die unglaublich viel Spaß macht, Stunden über Stunden Material und viele Überraschungen bietet.

Diese Namen fallen einem ein, wenn es um das Thema Doppelleben geht: Yoko Ono, Nam June Paik mit seiner Cello-Muse Charlotte Moorman oder auch Laurie Anderson mit ihrer hinreißenden Superman-Hommage, A.R. Penck, der noch in der DDR „Archaic-Fri-Jazz“ machte, sicherlich auch die Wiener Aktionisten Günter Brus, Hermann Nitsch, Dieter Roth, Gerhard Rühm und Oswald Wiener – zu denen auch die begnadete Rampensau Christian Ludwig Attersee gezählt werden muss.

Aber dass auch Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow im Chor von „Art & Language“ beim Auftritt von „The Red Krayola“ mitsang, Carsten Nicolai unter Alva Noto firmierte, Pipilotti Rist in der Formation „Les Reines Prochaines“ sang, Biennale-Künstlerin Anne Imhof in ihrer Band „Beautiful Balance“ glänzte, weiß nicht jeder. Michaela Melian findet man übrigens in der Neue-Welle-Band „F.S.K./Freie Selbstkontrolle). Dort singt sie „Du bist mein Held auf dieser Welt, die uns so sehr gefällt“. Autsch.

 Schöne bunte Welt: Links „One and One“ (1984) mit Markus Oehlen.

Schöne bunte Welt: Links „One and One“ (1984) mit Markus Oehlen.

Foto: Benjamin Westhoff

Die ausgezeichnete Schau startet mit hochinteressanten historischen Stichworten zum Thema. So erfährt man, dass Bauhauskünstler László Moholy-Nagy 1923 die Idee hatte, direkt in eine Schallplatte zu ritzen und somit das erst seit 1970 gebräuchliche „Scratching“ erfand. Marcel Duchamp komponierte mit Zufalls-Noten sein „Erratum Musicale“, das schön-schaurig in der Ausstellung zu hören ist, noch bevor er 1913 das Readymade erfand. Im gleichen Jahr kam der futuristische Künstler Luigi Russolo auf die Idee, mit Geräuschen, die er mit seinem „Intonarumori“ (Geräuschemacher) erzeugte, Musik zu machen.

20 Minuten absolute Stille

Steilvorlage für John Cage, der in einer TV-Sendung 1959 das Publikum mit seinen mit Alltagsgegenständen produzierten Geräuschen zum Lachen und Johlen bringt. Steilvorlage auch für die Fluxus-Bewegung, ihre Performances und Grenzüberschreitungen. Yoko Ono setzt auf ihre Stimme, hämmert den Ton in die Ohren des Publikums. Gerhard Rühm, ausgebildeter Konzertpianist, schreibt sein „Eintonstück“, das er als „Tao der Musik“ bezeichnet.

Der für seine tiefblauen Bilder bekannte Yves Klein komponiert bereits 1947 seine Sinfonie „Monoton – Silence“, in der 20 Minuten lang von Orchester und Chor ein wunderbares Klangfeld gehalten wird und dann 20 Minuten absolute Stille herrscht. 1960 wurde das beeindruckende Werk aufgenommen. Vor zwei Jahren erst hat Michel Francis Duch auf dem Kontrabass Hanne Darbovens Minimal-Stück Opus 17a eingespielt, das auf purer Mathematik beruht.

Die Ausstellung oszilliert zwischen solchen meditativen Momenten und wilden, betont anti-virtuosen, lärmenden Tonexzessen, wie sie etwa die britische Formation „Throbbing Gristle“, „Suicide“ mit Alan Vega, „Die tödliche Doris“ oder „Destroy all Monsters“ um Mike Kelley, zelebrieren, der die Musik mit einem kruden Bilderbogen unterlegt. Peter Weibel, Künstler und später Leiter des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe, singt vor einem psychedelisch wabernden Hintergrund 1980 „Ich bin tot im Kopf“. Edek Bartz, neben Eva Badura-Triska Kurator der Schau, meinte vor der Presse: „Die Ausstellung soll rocken!“ Das tut sie.

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