Tanz in der Brotfabrik Duell der Energien und Emotionen
Bonn · Es geht um Gewinnen und Verlieren: „Abyssos. Tanz am Abgrund“ von Tanzwerke Vanek Preuß in der Brotfabrik.
Die grauhaarige Frau im hellen sandfarbenen Gewand scheint keine Unsicherheit zu kennen. Völlig entspannt sitzt sie vorn am Bühnenrand und blickt furchtlos in den imaginären Abgrund vor ihr. Wie in sich selbst versunken bewegt sie Beine, Arme und vor allem die Hände zum leisen Geräusch fallender Tropfen. Ist sie ein aus der Zeit geglittenes Geschöpf oder eine archaische Naturgöttin, deren tanzende Finger geheimnisvolle Schicksalsfäden spinnen? Die neue Produktion „Abyssos. Tanz am Abgrund“ der Tanzwerke Vanek Preuß, die am Freitag in der Brotfabrik ihre Uraufführung feierte, lässt viel Raum für Assoziationen. Das Stück – das griechische Wort „Abyssos“ bedeutet Abgrund“ – ist der Beginn einer geplanten Trilogie über den verunsicherten Körper, um den auch schon frühere Werke der Compagnie kreisen. Es geht um die Angst davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber auch um die Faszination des Blicks in eine schwindelerregende Tiefe oder gähnende Leere. Um sozialen Auf- und Abstieg, Gewinnen und Verlieren.
Karel Vanek (Regie/Choreografie) und Guido Preuß (Konzept/Dramaturgie/Performance) untersuchen hier mit ihrer markanten Bewegungssprache gesellschaftliche Mechanismen von Homogenität und Dissens, Gruppenzugehörigkeit und Ausgrenzung. Scheinbar unbemerkt von der mysteriösen Frau im Vordergrund, eindrucksvoll verkörpert von der aus Brasilien stammenden, seit mehr als dreißig Jahren in Köln tätigen Tänzerin Sônia Mota (*1948), erscheinen im Hintergrund drei Figuren in schlichten samtschwarzen Anzügen (Kostüme: Melanie Riester). Langsam lösen sie sich von ihren übergroßen Schatten an der Rückwand (subtiles Licht: Florian Hoffmann) und aus ihrer animalisch gebückten Haltung und entwickeln individuelle Bewegungsmuster.
Laute Klangkulisse
In der lauter und aggressiver werdenden Klangkulisse von Angie Taylor wird aus der konformen Anpassung des Trios ein erbitterter Kampf um die eigene Selbstbehauptung. Während Preuß sich mit mechanischen Bewegungen wie eine ferngesteuerte Menschmaschine zunehmend isoliert, prallen die jüngeren Tänzer Josefine Patzelt (zum ersten Mal bei Tanzwerke Vanek Preuß engagiert) und Tobias Weikamp in einem verbissenen Ringen um die Aufmerksamkeit und körperliche Dominanz aufeinander. Das tänzerisch ungemein kraftvolle Duell der Energien und Emotionen endet freilich unentschieden. Die rund einstündige Inszenierung ist eine hochspannende Erforschung der Gefahrenzone zwischen Oben und Unten, in der mehr Fragezeichen lauern als narrative Absicherungen.
Nächste Vorstellungen am 25./26.März in der Brotfabrik Bühne. Karten bei BonnTicket.