Malerei von Karin Kneffel Ein Bild und seine Geschichte

Bonn · Karin Kneffels raffinierte Recherche über das Haus Lange von Mies van der Rohe

 Ein Bild für den zweiten und dritten Blick: Karin Kneffels Gemälde „2016“ aus der Sammlung Timm Moll.

Ein Bild für den zweiten und dritten Blick: Karin Kneffels Gemälde „2016“ aus der Sammlung Timm Moll.

Foto: Schirmer-mosel/Achim Kukulies

Vorsicht! In diesem – zugegeben: etwas unsortiert anmutenden – Bild stimmt einiges nicht. Und es passieren völlig unerwartete Dinge. Als die Malerin Karin Kneffel 2009 eingeladen wurde, im Krefelder Haus Lange, eine 1927 erbaute Villa des Architekten Mies van der Rohe, eine Ausstellung zu realisieren und sie mit ihren Recherchen begann, konnte sie auf sensationelles Material zurückgreifen. 2007 erst war eine 2005 entdeckte Fotoserie publiziert worden, die die Berliner Agentur Bild-Bericht 1930, dem Einzugsjahr der Familie Lange, gemacht hatte. Recht puristische, nüchterne Interieurs mit Möbeln und Kunstwerken sind zu sehen.

Eine Bestandsaufnahme von höchstem Wert. Der Seidenfabrikant Hermann Lange starb 1942, sein Sohn Ulrich Lange übergab die Villa 1955 als Schenkung an das städtische Kunstmuseum Krefeld, das das Haus gemeinsam mit dem benachbarten Haus Esters bis heute für Wechselausstellungen nutzt. Die Räume sehen jetzt anders aus, Langes Sammlung ist heute in die ganze Welt verstreut.

Alle Freiheiten

Kneffel (65) tastete sich mit etlichen Schwarz-Weiß-Arbeiten an das Thema heran, erarbeitet ihr raffiniertes Programm. Farbe kommt hinzu. Für ihr unbetiteltes Großformat von 2016 – unser Bild – nimmt sie eines der Raumfotos zur Grundlage, lässt aber ihrer Fantasie freien Lauf. Sie fügt rechts eine Raumpflegerin ein die sich zu ihrem Putzeimer bückt. In die vorderste Bildebene zieht sie malerisch gewissermaßen eine Glasscheibe ein, auf der Wassertropfen und Schlieren Reflexe bilden und die Lichtsituation im Raum verändern, der wie das Innere eines trüben Aquariums anmutet – wobei die einzelnen Bilder an der Wand in ihrer ursprünglichen satten Farbigkeit präsentiert werden. Sie schafft einerseits Distanz, fokussiert den Blick andererseits auf die Bilder (die man heute vor Ort nicht sieht).

Eine Rekonstruktion des Zustands von 1930 mit der Farbe der Originale: Wir sehen von links nach rechts Oskar Kokoschkas „Sommer“, Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz“ und ganz rechts August Mackes „Große Promenade“.

Slapstick-Szene

Zwischen dem Kokoschka und dem Kirchner sieht man schemenhaft Wilhelm Lehmbrucks „Die Badende“, die ursprünglich in einem anderen Raum stand. An einer anderen Wand stand Lehmbrucks Torso der „Sich Umwendenden“, in der sich in Kneffels Bild wiederum Früchte und weitere Skulpturen spiegeln. Lehmbrucks „Weiblicher Torso“, vor dem sich die Raumpflegerin beugt, stand indes schon 1930 an dieser Stelle. Wer mit dem Blick nach links wandert, sieht unter dem Kirchner eine slapstick-hafte Figur, die offenbar auf dem feuchten Boden ausgeglitten ist und auf dem Bauch gelandet ist. Kneffel liebt das Stummfilmkino. Die Gemälde hat Kneffel quasi wieder in den Raum getragen, der Kirchner kommt aus der Neuen Nationalgalerie in Berlin, der Kokoschka aus Dresden, der Macke hängt im Franz Marc Museum in Kochel.

Das Marc Museum in Kochel am See stellt Kneffels durch Mies van der Rohe inspirierte Serie in den Mittelpunkt einer Ausstellung, die unter dem Titel „Im Bild“ bis zum 3. Oktober zu sehen ist. Das Buch dazu ist bei Schirmer/Mosel erschienen und kostet 39,80 Euro.

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