Holocaust-Aufklärer Fritz Bauer Ein Kämpfer für die Menschlichkeit

BONN · Fritz Bauer war Generalstaatsanwalt in Hessen. Er verfolgte Verbrecher des Dritten Reiches, trat ein für eine humanistisch begründete Demokratie. Jüngst brachten mehrere Filmprojekte den Mann wieder ins Gespräch. Wer war dieser Mann, der unter unklaren Umständen zu Tode kam?

 In Hemdsärmeln: Fritz Bauer in Frankfurt am Main, wo er NS-Verbrechern auf der Spur war und Rechtsgeschichte schrieb.

In Hemdsärmeln: Fritz Bauer in Frankfurt am Main, wo er NS-Verbrechern auf der Spur war und Rechtsgeschichte schrieb.

Foto: dpa

Heiko Maas hat einen eindeutigen Standpunkt: „Fritz Bauer ist einer der wenigen Helden in der Geschichte der deutschen Justiz.“ So kurz, so klar hat es der Bundesjustizminister in einem Grußwort formuliert.

Er war ein einsamer Held, dieser Fritz Bauer. Er starb am 1. Juli 1968. Der breiten Öffentlichkeit wäre der frühere Generalstaatsanwalt von Hessen womöglich völlig unbekannt, hätte es nicht Filmprojekte wie Ilona Zioks beeindruckende Dokumentation „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ (Deutschland 2010), den Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ (Deutschland 2014, Regie Giulio Ricciarelli) oder zuletzt „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (Deutschland 2015, Regie: Lars Kraume) gegeben, die Bauers Wirken auf die Leinwände der Gegenwart hoben.

Nur dass zumindest Kraumes Werk unter Wissenschaftlern und Weggenossen Bauers derart umstritten ist, dass manche darin den Versuch einer Demontage des Helden der deutschen Justizgeschichte erkennen. Eines Mannes, der dem deutschen Rechtssystem wieder zu humanistischen Zügen verhalf, nachdem es im Dritten Reich in weiten Teilen willfähriger Helfer des Unrechtsstaates geworden war.

Dass Hitlers Regime als Unrechtsstaat anerkannt wurde, war der erste juristische Erfolg Fritz Bauers, der als jüngster Amtsrichter der Weimarer Republik vor einer glänzenden Karriere stand. Bis die Nationalsozialisten ihre Schreckensherrschaft errichteten. 1933 wird der Sozialdemokrat Bauer verhaftet. KZ Heuberg, Ulmer Garnisonsarresthaus. Ende 1933 Haftentlassung. Die Rückkehr ins Amt: unmöglich.

Bauer emigriert 1936 nach Dänemark. Auch dort erlebt er Repression. Als die Deutschen Dänemark besetzen und dort die Judenverfolgung mit unerbittlicher Härte einsetzt – Bauer, obschon überzeugter Atheist, ist Sohn jüdischer Eltern –, flieht er nach Schweden. 1949 kehrt er zurück nach Deutschland. Erste Station: Braunschweig.

1951: Fritz Bauer setzt ein Strafverfahren gegen Otto Ernst Remer durch

Mai 1951: In Niedersachsen steht die Landtagswahl an. Um Mandate bewirbt sich auch die Sozialistische Reichspartei (SRP). Sie wird elf Prozent Zuspruch erhalten, 16 Mandate. Prominentestes Aushängeschild der SRP ist Otto Ernst Remer. Jener Wehrmachtsoffizier, der als Kommandeur des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“ half, den Umsturzversuch der Widerständler des 20. Juli 1944 blutig niederzuschlagen. Und dieser Remer beschimpft im Wahlkampf die Widerstandskämpfer als vom Ausland bezahlte Landesverräter.

Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt in Braunschweig, setzt gegen den Widerstand in seiner Behörde durch, dass es nach der Strafanzeige durch den damaligen Bundesinnenminister Robert Lehr zum Verfahren kommt. In dessen Verlauf qualifiziert Bauer das Dritte Reich als Unrechtsstaat, gegen den aufzustehen – in aller Verkürzung – gerechtfertigte Notwehr gewesen sei. Überdies sei ein Unrechtsstaat nicht hochverratsfähig. Bauers Kampf um die Menschenrechte endet in diesem Verfahren mit drei Monaten Haft für Remer. Viel wichtiger: Das Gericht folgt Bauers Argumentation, der NS-Staat habe nicht mehr für sich beanspruchen können, „als Rechtsstaat (...) bezeichnet zu werden“.

Fritz Bauer lässt nicht nach. Als hessischer Generalstaatsanwalt setzt er beim Bundesgerichtshof die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt/Main für alle in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau begangenen Straftaten durch. Das ermöglicht den ersten Auschwitz-Prozess, ein bedeutendes Stück bundesrepublikanischer Rechtsgeschichte. Ende 1963 beginnt das Hauptverfahren „gegen Mulka und andere“, insgesamt 22 Diener des Nazi-Regimes.

Am 20. August 1965 werden 17 der Angeklagten wegen Mordes, gemeinschaftlichen Mordes oder der gemeinschaftlichen Beihilfe dazu verurteilt. Bis dahin hört die Welt, hören vor allem die Deutschen viel von dem Grauen, von dem die meisten zuvor nichts gewusst haben wollten. Das sie oftmals als Propaganda der Sieger abgetan hatten. Wer heute von der „Auschwitzlüge“ redet, macht sich der Volksverhetzung schuldig. Auch ein Erfolg der von Bauer angetriebenen Auschwitz-Prozesse.

Der deutsche Geheimdienst wusste, wo Adolf Eichmann war - und tat nichts

Und noch eine Aktion Fritz Bauers erregt weltweites Aufsehen: die Entführung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst aus Argentinien. 1957 gibt Bauer Informationen über den Aufenthaltsort des ehemaligen SS-Obersturmbannführers an den Mossad weiter. Seine Befürchtung: Sollte er den Behördenweg einschlagen, werde Eichmann von braunen Weggefährten, die unbeschadet in der bundesdeutschen Bürokratie untergekommen waren, gewarnt.

Heute wissen wir: Der deutsche Geheimdienst wusste zu diesem Zeitpunkt längst, wo sich Eichmann aufhielt, unternahm aber nichts.

Eichmann, im Berliner Reichssicherheitshauptamt Organisator der Vertreibung und Deportation der Juden in die Vernichtungslager, wird so schließlich von israelischen Agenten im Mai 1960 nach Israel gebracht. Dort wird ihm auch der Prozess gemacht, obwohl sich Bauer um eine Auslieferung für einen Prozess in Frankfurt/Main bemüht. Doch sein Auslieferungsersuchen lehnt die damalige Bundesregierung auf der Stelle ab. So hört Eichmann in Jerusalem sein Todesurteil. Es wird in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962 vollstreckt.

Das alles macht Fritz Bauer unter den zahlreichen Altnazis, die sich im Komfort der Wirtschaftswunderjahre der 1950er und 1960er unverfolgt und unbestraft eingerichtet haben, keine Freunde. Auch in der Justiz ist er von Menschen umgeben, die jetzt dem Grundgesetz verpflichtet sind, sich zuvor aber der NS-Justiz dienlich gezeigt hatten. Kein Richter, der Unrecht sprach, kein Staatsanwalt, der Unrecht als Recht einforderte, ist verurteilt. Bis heute.

Woran auch Fritz Bauer nichts ändern kann. Der Bundesgerichtshof macht eine Verurteilung vom Nachweis der Rechtsbeugung abhängig – und damit praktisch von einem Geständnis des betroffenen Richters, das Recht bewusst gebeugt zu haben. Kein Geständnis, kein Urteil. Fritz Bauer erkennt darin einen „ständischen Schutzwall“. Oft habe er gesagt: „Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“, zitiert der Spiegel 1995 den Anwalt Manfred Amend, Bauers Freund und Testamentsvollstrecker.

Sonderlich freundlich geht auch der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ nicht mit seiner Hauptfigur um. Der Film legt nahe, Bauer habe den Nazis eine „Unterwerfungserklärung“ unterschrieben, um Ende 1933 aus dem KZ zu kommen. Bauer wird in dem Film Homosexualität unterstellt, die damals noch strafbar ist. Überdies entsteht der Eindruck, Bauer habe seiner jüdischen Herkunft abgeschworen. Das ruft Kenner von Bauers Lebensgeschichte auf den Plan.

Im jüngsten „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“ meldet sich Irmtrud Wojak zu Wort. Sie ist Biografin Fritz Bauers. Es gebe weder eine von Bauer unterschriebene „Unterwerfungserklärung“ noch irgendeinen belastbaren Hinweis darauf, dass Bauer schwul gewesen sei, argumentiert sie. Und wer Bauer vorwerfe, dass er assimiliert gewesen sei und keiner Religionsgemeinschaft angehört habe, begebe sich „auf gefährlich populistisches Glatteis“.

Wojak erkennt in dem Film den vergeblichen Versuch der Autoren, in zu große Fußstapfen zu treten: „So gerät ihnen ausgerechnet eine der wenigen wegweisenden Persönlichkeiten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu einer jämmerlichen Karikatur seiner selbst.“

Angedeutet wird in dem Film auch eine gewisse Neigung Fritz Bauers, seinem Leben ein Ende zu setzen. Eine Art Selbstmordversuch wird gleich zu Beginn gezeigt. Da nimmt der Film Bezug auf ein Rätsel, das Fritz Bauer bis heute umweht: seinen Tod.

Bis heute mysteriös: Fritz Bauers angeblicher "Selbstmord" in der Badewanne

Am 1. Juli 1968 wird Fritz Bauer gegen 13 Uhr tot in der Badewanne seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Selbstmord? Die Polizei kommt zum Ergebnis, dass „ein Tod aus natürlicher Ursache“ vorliege und die Leiche mehr als 24 Stunden im Wasser gelegen haben könne. Erardo Cristoforo Rautenberg, Deutschlands dienstältester Generalstaatsanwalt in Brandenburg, hat sich für das „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“ die Akten noch einmal genau angesehen.

Sein Befund ist weniger eindeutig. Die Staatsanwälte, schreibt Rautenberg, verzichteten schon bei der Begehung des Leichenfundortes auf die Hinzuziehung eines Rechtsmediziners. Bei der sogenannten Verwaltungssektion finden sich eine geringe Menge Kohlenmonoxid im Blut (Bauer war Raucher), das Schlafmittel Revonal in nicht unerheblicher Menge sowie ein Blutalkoholgehalt zum Todeszeitpunkt zwischen 1,0 und 1,1 Promille.

Das, findet Rautenberg, der mit Bauers Leben wohlvertraut ist, sei „auffällig“. Bauer habe wenig getrunken, sei aber an Revonal gewöhnt gewesen. Auch die über dem Bauch gefalteten Hände des Leichnams und dessen angewinkelten Beine, die Füße umgeben vom metallenen Wasserschlauch, erscheinen dem Experten „von einer gewissen Bedeutung“. Und die Frage, warum Fritz Bauer ein Vollbad nahm am 30. Juni oder 1. Juli, die beide „sehr warme Tage“ in Frankfurt gewesen seien. Überdies: Es gibt keine Hinweise auf einen beabsichtigten Freitod.

Für Bauers Freund Manfred Amend, der Ilona Ziok für ihre Bauer-Dokumentation ein Interview gab, ist ein Selbstmord in der Badewanne „so ein absurder Gedanke, dass keiner von uns, die ihn kannten, auf die Idee gekommen wäre, dass das der Fall sein könnte“.

Bliebe ein verdeckter Mord. Bauer hatte etliche Todesdrohungen erhalten, war sogar im Besitz einer Pistole. Doch eingehendere Untersuchungen der Todesumstände vereitelte eine frühe Freigabe der Leiche Bauers und deren Einäscherung. Ein Vorgang, der für Rautenberg „heute fachlich nicht vertretbar“ wäre, gehört doch die Untersuchung eines Toten aus der Badewanne zu „den schwierigsten rechtsmedizinischen Aufgaben überhaupt“. Und es gab einen männlichen Besucher am Abend des 30. Juni, der nie ermittelt wurde.

Gibt es einen Zusammenhang zur „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ (Odessa)? Rautenberg verweist auf die ZDF-Produktion „Die SS“, in der eine Passage besagt, in Marbella sei im Juni 1965 der Tod Bauers beschlossen worden. Selbst wenn man dies nicht glaube, bleibt laut Rautenberg, dass 1966 eine Verurteilung von zwei Neonazis wegen der Verabredung zum Mord an Fritz Bauer nur daran scheiterte, dass eine „endgültige“ Verabredung nicht nachzuweisen war.

Klar ist für Rautenberg dies: „Es hatten somit nicht nur viele ein Motiv, den Störenfried (Bauer, d. Red.) zu beseitigen, sondern es waren darunter auch solche, die bereits ohne Skrupel getötet hatten, und solche, die aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage waren, einen Mord zu verschleiern. Sollte Bauer tatsächlich ermordet worden sein, wäre das damit verfolgte Ziel jedenfalls erreicht worden, denn nach dem Tod Bauers versandete die strafrechtliche Verfolgung der “Euthanasie„-Morde und fokussierte sich auf die Verfolgung des KZ-Personals und für lange Zeit auf die “Exzess- und Direkttäter„.“

Für ihn, so Rautenberg, bleibe „eine offene Frage“, ob Fritz Bauer sich das Leben nahm, ein Unglücksfall seinen Feinden in die Hände spielte – oder ob sie selbst Hand anlegen ließen an einen Mann, der „an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst“ hat. So jedenfalls urteilt Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, über den Menschen und Juristen Fritz Bauer.

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