CD-Tipp Eine Hommage an Jazzmusiker Esbjörn Svensson

Bonn · „e.s.t. live in london“ erinnert an den vor zehn Jahren gestorbenen Jazzer Esbjörn Svensson. Es ist die grandiose Aufnahme eines Konzerts im "Barbican".

 Die Drei von „e.s.t.“: (von Links) Magnus Öström, Esbjörn Svensson und Dan Berglund.

Die Drei von „e.s.t.“: (von Links) Magnus Öström, Esbjörn Svensson und Dan Berglund.

Foto: Jim Rakete

Die Szene trauert nach wie vor um diese Lichtgestalt am Jazzpianistenhimmel, um diesen Meister der Leichtigkeit, der schwungvollen, ausgelassenen Kanitlenen, diesen nicht zu unterschätzenden Impulsgeber einer ganzen Generation: Vor zehn Jahren kam der 44-jährige Esbjörn Svensson auf dem Höhepunkt seiner Karriere ums Leben, seine Kameraden fanden den Taucher leblos auf dem Grund des Stockholmer Schärengartens.

Die Szene war geschockt, die Trauer riesig. Und doch, so richtig verschwunden ist er nicht aus der aktuellen Musikwelt. Natürlich ist die Frage obsolet, wie sich Svensson mit seinem Trio e.s.t., mit den Klassemitmusikern Dan Berglund und Magnus Öström, weiter entwickelt hätten. Aber es vergeht kein Jahr, in dem nicht ein Tonjuwel des Trios veröffentlicht wird, Archivaufnahmen, überarbeitete Konzertmitschnitte, akustische Fundstücke. Und jedes Mal wird die Klasse von Svensson und e.s.t. offenkundig.

Jetzt ist mit „e.s.t. live in london“ ein bislang unveröffentlichtes Album bei ACT herausgekommen. Der Mitschnitt eines umjubelten, ausverkauften Konzerts im Londoner „Barbican“ vor 2000 Fans aus dem Mai 2005. „Mann, wir waren wirklich gut an diesem Abend“, wird der Bassist Berglund von ACT zitiert, „wir sind volles Risiko gegangen. Wir waren 'on fire'“.

Wenn man in den Zehn-Minuten-Song „Eighty-eight Days In My Veins“ hineinhört, ahnt man, was Berglund mit dem „Risiko“ gemeint haben kann. Mit wildem Staccato steigen Piano, Bass und Schlagzeug ein, um dann sukzessive das Tempo herauszunehmen, die Struktur in Frage zu stellen, sie quasi aufzulösen. Immer wieder versucht ein Motiv das musikalische Geschehen einzukreisen. Doch das Piano klingt verloren in der Weite des e.s.t.-Kosmos, findet sich wieder mit Bass und Schlagzeug zusammen. Elegische Abkehr, kompaktes Zusammenspiel – größer könnte der Kontrast in diesem Stück nicht sein. Toll, wenn der ganze e.s.t.-Organismus loslegt, abgeht.

"Eine Rockband, die Jazz spielt"

Kein Wunder, dass man dann an Svenssons Bonmot denkt: „Wir sind eine Rockband, die Jazz spielt.“ Ein wunderbares Stück auf dieser herausragenden Doppel-CD, die insgesamt zehn exzellente Kompositionen vereinigt. Grundlage des 2005er Konzerts ist die Platte „Viaticum“, die Ende Januar 2005 erschien. Außerdem finden sich Nummern aus „Strange Place For Snow“ (2002) und „Seven Days Of Falling“ (2003). Ein schöner Rückblick.

Gleich das Titelstück fasziniert mit einem langsamen, geradezu trägen Einstieg voller Melancholie. Piano, Bass und Schlagzeug halten sich zurück, bewahren die Spannung, werden immer stärker, vertreiben die Wolken des Anfangs, lassen den Himmel erstrahlen. Am Ende kehrt e.s.t. zu dieser gespannten Melancholie zurück. Der Applaus im „Barbican“ wirkt ergriffen und befreiend zugleich. Das Trio legt den Schalter um, gibt seinem Publikum mit „Eigthty-eight Days...“ einen schönen rockigen Kontrast mit verfremdetem Sound. Genial.

„Tide Of Trepidation“, das Eröffnungsstück des Konzertmittschnitts, ist eine herrlich tänzerische Nummer, ein lockerleichtes, fast heiteres Stück, das aber etlichen emotionalen Schwankungen unterliegt. Faszinierend, wie die Drei interagieren. In einem bemerkenswerten Interview des Deutschlandfunks Kultur erinnert sich Öström, der Svensson aus Kinderzeiten kannte, an die „individuelle Energie“, die an jenem Abend in London herrschte, und das Phänomen der Telepathie.

Die sentimentale, melodiöse und sehr eingängige Ballade „Believe, Beleft, Below“ nimmt den Faden der Melancholie wieder auf. Ein Stück zum Träumen. „Spunky Sprawl“, der Rausschmeißer des Londoner Albums, ist ein fetziges Gute-Laune-Stück, in dem die Drei nach Herzenslust improvisieren. Großer Applaus im Londoner „Barbican“.

2007 brachte die Gruppe das Album „e.s.t. Live in Hamburg“, das die London Times zum „Jazzalbum des Jahrzehnts“ kürte und als Vermächtnis gewertet wird. „live in london“ wirkt spielerischer, experimenteller, offener für Pop- und Rockelemente.

Was ist noch aus dem Fundus von e.s.t. zu erwarten? Öström räumt ein, dass die Gruppe nicht jedes Konzert aufgenommen habe. und er sich nicht vorstellen könne, dass seine Plattenfirma eine 500-CD-Box herausbringen würde. Die Qualität sei entscheidend, ob man etwas veröffentliche. Also es bleibt spannend.

Esbjörn Svensson Trio: „e.s.t. live in london“. ACT

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