Das „Lied der Deutschen“ Einigkeit und Recht und Freiheit

Die Geschichte der deutschen Nationalhymne verläuft ebenso unstet und wechselvoll wie das Leben ihres Dichters. Hoffmann von Fallersleben schrieb das „Lied der Deutschen“ vor 175 Jahren auf der damals noch britischen Insel Helgoland. Das Kaiserreich wollte es nicht, Bundespräsident Theodor Heuss ebenfalls nicht, und Kurt Tucholsky schrieb: „Deutschland über alles, ein törichter Vers eines großmäuligen Gedichts“

 Auf der Hochsee-Insel Helgoland, damals noch britisch, schrieb der Dichter Hoffmann von Fallersleben am 26. August 1841 das dreistrophige „Lied der Deutschen“.

Auf der Hochsee-Insel Helgoland, damals noch britisch, schrieb der Dichter Hoffmann von Fallersleben am 26. August 1841 das dreistrophige „Lied der Deutschen“.

Foto: picture alliance / Michael Narte

Am Ende seines Lebens, als August Heinrich Hoffmann, der sich nach seinem Geburtsort Hoffmann von Fallersleben nannte, im Schloss Corvey als Bibliothekar des Herzogs Viktor von Ratibor eine auskömmliche und durchaus zufriedenstellende Anstellung gefunden hatte, machte sich bei ihm Resignation breit. Gewiss, die deutsche Reichsgründung und 1871 die Krönung des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reichs hat er noch erlebt – aber es war die sogenannte kleindeutsche Lösung, ohne Österreich. Hoffmann hatte weiträumiger, hatte großdeutsch gedacht.

Schon in seinen „Unpolitischen Liedern“ von 1840 konnte man lesen, was ihm am Herzen lag: „Kein Österreich, kein Preußen mehr / Ein einzig Deutschland hoch und hehr, / Ein freies Deutschland Gott bescher'.“ Das Lied allerdings, das nach Hoffmanns Vorstellungen „das Lied der Deutschen“ schlechthin sein sollte, sein „Deutschland, Deutschland über alles“, wurde 1871 nicht die Nationalhymne. Es gab schlichtweg keine. Das änderte sich erst gut 50 Jahre später. Und so schrieb der enttäuschte Hoffmann in einem seiner letzten Gedichte: „Und ich sang von Deutschland wieder, / Sang in Freud’ und Hoffnung nur. / Doch mein Deutschland über alles / Kam und ward – Maculatur.“

Die Geschichte der deutschen Nationalhymne verläuft ebenso unstet und wechselvoll wie das Leben ihres Dichters. Bernt Ture von zur Mühlen, Autor einer umfassenden Hoffmann-Biografie, braucht viele Begriffe, um den Mann aus Fallersleben im Vorwort zu beschreiben: „Hoffmann war Dichter und Gelehrter, erfolgreicher Entdecker von Sprachdenkmälern und Volksliedsammler, Kirchenliedforscher und politisch engagierter Liedermacher, bedeutender Herausgeber von altniederländischer Literatur und gefeierter Verfasser von Kinderliedern. Er war aber auch der ewige Verächter der französischen Kultur, ein bornierter deutschtümelnder Versemacher und ein spießiger Provinzler, der in fremden Ländern für alles Fremde nur Spott übrig hatte.“

Das Rüstzeug für die wissenschaftliche und für die politische Arbeit holt sich der 1798 geborene Hoffmann an der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität. Hier, wo Ernst Moritz Arndt Geschichte lehrt, studiert er deutsche Sprache und Literatur. Arndts 1813 verfasstes Lied „Des Deutschen Vaterland“ wird dem Studenten Hoffmann nicht unbekannt gewesen sein: „Was ist des Deutschen Vaterland? / Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? / Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? / Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht? / O nein, o nein! Sein Vaterland muss größer sein!“ Student Hoffmann nimmt ein Zimmer in Poppelsdorf und verliebt sich in die Tochter seines Vermieters: Gretchen „war mein Taggedanke, war mein Traum“.

Als Hoffmann, inzwischen ordentlicher Professor der Germanistik in Breslau und bekannt als Verfasser von Kinderliedern („Ein Männlein steht im Walde“, „Alle Vögel sind schon da“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“), im Jahre 1841 seine Ferien auf der damals zu England gehörenden Insel Helgoland verbringt, gehen seine Träume in eine andere Richtung. Er träumt von einem vereinten Deutschland, vom Ende der Vielstaaterei, wie sie sich im 1815 beschlossenen Deutschen Bund manifestiert hat. Dieser Staatenbund umfasst sozusagen 39 Deutschlands: ein Kaiserreich, fünf Königreiche, ein Kurfürstentum, sieben Großherzogtümer, zehn Herzogtümer, elf Fürstentümer und vier reichsfreie Städte.

Am 26. August 1841 schreibt Hoffmann auf Helgoland sein „Lied der Deutschen“, mit jener ersten Strophe, die für zahlreiche Diskussionen sorgen wird: „Deutschland, Deutschland über alles, / Über alles in der Welt, / Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält, / Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt – Deutschland, Deutschland über alles, / Über alles in der Welt!“

Beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages heißt es dazu: „Mit diesem ... Liedbeginn wollte der Verfasser gefühlsmäßig ausdrücken, dass er eine Vereinigung der deutschen Einzelstaaten und damit die Einheit Deutschlands “über alles in der Welt„ wünschte. Nicht geografische Expansion, sondern eine gesamtdeutsche Konstitution war sein politisches Anliegen.“ Kurt Tucholsky hatte eine etwas andere Meinung: „Deutschland über alles, ein törichter Vers eines großmäuligen Gedichts.“

Die zweite Strophe mit ihrer Lobpreisung der deutschen Frauen, der deutschen Treue, des deutschen Weins und des deutschem Sangs neigt ziemlich altväterlich zum Rhein-Wein-Lied und kann nicht unbedingt als überragendes Zeugnis der Dichtkunst gelten. Die dritte Strophe schließlich ist jene, die heute gesungen wird: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.“

Das Versmaß des Liedes passt exakt zur Kaiser-Hymne für den österreichischen Kaiser Franz II., die Joseph Haydn 1797 vertont hat und die er ein paar Monate später mit einem wunderschönen Variationen-Satz in seinem Kaiserquartett veredelt. Der Verleger Campe greift sofort zu, kauft Hoffmann das Gedicht ab und veröffentlicht es bereits am 1. September 1841 zusammen mit der Haydn-Melodie. Das Lied erlangt eine gewisse Popularität, sein Verfasser freilich wird 1842 wegen „politisch anstößiger Grundsätze und Tendenzen“ aus dem preußischen Staatsdienst entlassen, er zieht ruhelos durchs zersplitterte Deutschland und wird erst im Revolutionsjahr 1848 halbwegs rehabilitiert.

Neuen Schwung bekommt das Deutschlandlied 1890. Helgoland wird deutsch, beim Hissen der Reichsflagge singt man Hoffmanns Lied. Ansonsten begnügt sich das nationalhymnenlose Kaiserreich mit der Herrscher-Verherrlichung „Heil dir im Siegerkranz“. Als es mit dem Kaiser vorbei ist, erklärt 1922 der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert das Haydn-Hoffmann-Lied zur deutschen Hymne. Auf die erste Strophe geht er nicht ein, sondern sagt: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten.“

Die bessere Zukunft endet rasch. Die Nationalsozialisten bürden der Hymne eine hässliche Hypothek auf, sie lassen der ersten Strophe das Horst-Wessel-Lied – „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“ – folgen. Die Nazi-Mischung wird nach Kriegsende 1945 vom Alliierten Kontrollrat verboten. Im Grundgesetz der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland fehlt jede Ausführung zu einer Nationalhymne.

Aber so ganz ohne Hymne geht es nicht. Speziell Bundeskanzler Konrad Adenauer bekommt das bei offiziellen Anlässen zu spüren, in Chicago etwa wird er mit „Heidewitzka, Herr Kapitän“ begrüßt. Das passt ihm verständlicherweise nicht, wie ihm auch die Versuche des Bundespräsidenten Theodor Heuss, den Deutschen eine neue Hymne schmackhaft zu machen, höchst suspekt sind.

Die Volksmeinung steht auf der Seite des Kanzlers, nach einer Umfrage von 1951 sind drei Viertel der Westdeutschen für die Beibehaltung des Deutschlandlieds. Im Osten ist man ohnehin schneller, dort gibt es seit Ende 1949 die Becher-Eisler-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“, die aparterweise das betont, was auch Hoffmann von Fallersleben geschrieben hat: „Deutschland, einig Vaterland“.

Der Bundespräsident versucht alles, die Hymnen-Traditionalisten von der Sinnhaftigkeit einer neuen Hymne zu überzeugen, an Sylvester des Jahres 1950 präsentiert er im Rundfunk seine Lösung, für die der Dichter Rudolf Alexander Schröder und der Komponist Hermann Reutter – der zuerst angefragte Carl Orff hat abgesagt – verantwortlich sind: „Land des Glaubens, deutsches Land, Land der Väter und der Erben“.

Das nicht ganz einfach zu singende Opus findet in der Bevölkerung keinen Widerhall. Adenauer nimmt die Sache in die Hand, in einem Schreiben vom 29. April 1952 an den Bundespräsidenten trägt er „die erneute Bitte der Bundesregierung“ vor, „das Hoffmann-Haydn’sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen.“ Weiter heißt es: „Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden.“ Heuss gibt nach: „Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt“, heißt es in seiner Antwort.

Die erste Strophe bleibt gleichwohl im kollektiven Gedächtnis. Beim „Wunder von Bern“, als Deutschland im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft Ungarn 3:2 besiegt, ist es deutlich zu hören: Im Überschwang der Gefühle singen die Deutschen im Wankdorfstadion, erst zaghaft, dann immer deutlicher, „Deutschland, Deutschland über alles“. Bei einer Feierstunde ein paar Tage später im Berliner Olympiastadion gibt Bundespräsident Heuss den 80 000 Besuchern eine kleine Lehrstunde: Er spricht den kompletten Text der dritten Strophe vor, bevor man sich ans gemeinschaftliche Singen macht.

Noch einmal, nach der Wiedervereinigung, wird die Hymne Gegenstand eines Briefwechsels zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler. Richard von Weizsäcker macht diesmal den Anfang und schreibt: „Die 3. Strophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes hat sich als Symbol bewährt. Sie wird im In- und Ausland gespielt, gesungen und geachtet. Sie bringt die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, als Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft verpflichtet fühlen. Die 3. Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben mit der Melodie von Joseph Haydn ist die Nationalhymne für das deutsche Volk.“

Die Antwort Helmut Kohls fällt bestätigend aus: „Der Wille des Deutschen zur Einheit in freier Selbstbestimmung ist die zentrale Aussage der 3. Strophe des Deutschlandlieds. Deshalb stimme ich Ihnen namentlich der Bundesregierung zu, dass sie Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist.“

Ende der Diskussion. Heute steigt allenfalls das öffentliche Erregungspotenzial, wenn Sportler die Hymne nicht mitsingen. Die letzte große Hymnen-Umfrage im Lande datiert aus dem Jahre 2009: „Können Sie mir bitte, so gut Sie es können, den Text der Nationalhymne aufsagen?“ 47 Prozent schaffen die dritte Strophe, acht Prozent versuchen es mit „Deutschland, Deutschland über alles“ – und 41 Prozent bleiben stumm.

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