Neues Buch über Bob Dylan Er kennt seine Klassiker

Bonn · Heinrich Detering analysiert in „Stimmen aus der Unterwelt“ Bob Dylans literarischen Rang. In Deterings Pop-Exegesen werden mehrere Texte aus Bob Dylans Spätwerk analysiert.

In den letzten Jahren gab es immer wieder den Vorschlag, Bob Dylan den Literaturnobelpreis zu verleihen. Das schwedische Komitee hat sich jedoch nie darauf eingelassen. Dylan, dachten wohl die älteren Herren in Stockholm, ohnehin voreingenommen gegen US-Literatur, geht nicht. Dylan, das ist doch Pop, Mainstream.

Nicht nur, glaubt der Philologe Heinrich Detering, der in Göttingen lehrt und auch als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung agiert. Er hat das Spätwerk des (bis 24. Mai) 74 Jahre alten Bob Dylan, der als der größte Folksänger der Popgeschichte gilt, akribisch untersucht und bescheinigt ihm hohe literarische Qualität.

Dylan sei ein historisch geschulter Texter, der nicht nur seit über 50 Jahren wegen „Blowin’ in The Wind“ (1963) oder „Knockin’ on Heavens Door“ (1973) berühmt sei. In seinem Werk zeige sich sein Genius.

Robert Allen Zimmerman, wie Dylan bürgerlich heißt, wurde nie nur als der Mann mit Gitarre, Mundharmonika, Klavier und Orgel wahrgenommen. Er ist Nachfahre deutsch-ukrainisch-jüdischer Vorfahren, die 1905 aus Odessa in die USA emigrierten. Schon an der Schule und der Universität fiel er auf mit komplexen Texten, die immer neu literarische Grundthemen aufflackern lassen. Dafür erhielt er zwei Ehrendoktortitel, Präsident Obama verlieh ihm 2009 die „National Medal of Arts“, und seit 2013 ist Dylan Mitglied der Berliner Akademie der Künste.

Musikalisch orientierte sich Dylan an Woody Guthrie, dem Altmeister der Folk-Bewegung, in seinen Dichtungen aber an Autoren wie Arthur Rimbaud oder Charles Baudelaire. Auffällig sind seine Anspielungen, die er als bekennender Christ aus der Bibel übernimmt, wenngleich er gar nicht in evangelikaler Manier missionarisch ausgerichtet ist. Und den Künstlernamen Dylan will er nur übernommen haben, weil er den walisischen Dichter Dylan Thomas seit seiner Jugend verehrt.

In Deterings Pop-Exegesen werden mehrere Texte aus Bob Dylans Spätwerk analysiert. Es geht um „Menetekel und Plagiat“, um „Träume, Moritat und Märchen“, um das Unterbewusste, das sich in Dylans Liedern Bahn bricht. In „Tempest“, einem Song von 2012, entdeckt der Analyst lange, aus der englischen Literatur stammende Zitate, die auch auf Shakespeare verweisen. Aber hat der nicht Heerscharen von Künstlern beeinflusst? Ja, aber Detering listet Dylan nun gleich als „Pop-Shakespeare“ ein. Was seltsam erscheint, ist, dass Bob Dylan von Detering unbedingt im klassischen Metier der Literatur verankert werden soll. Er versucht zu beweisen, dass Dylan einer von den ganz Schlauen ist, die sich Inspiration aus der Traditionsliteratur geholt haben. Könnte es nicht sein, dass den Songwriter eigene Ideen angetrieben haben, dass er im Pop, vor allem der Variante Folk, eine Energie gefunden hat, die ihn über Jahrzehnte trug?

Warum soll er nur aus der Literatur gefischt haben, die er anspielungsweise anbringt? Dylan hat seine unerhörte Kreativität doch mehrfach bewiesen, er kam nach Rückschlägen – wie einem schweren Motorradunfall 1966, auch Schaffenskrisen und Rückzügen ins Private – stets wieder auf die Bühne. Er ist immer noch weltweit unterwegs.

Bob Dylan ist ein experimentierender Künstler. Er hat seine Aquarelle ausgestellt (hierzulande in Chemnitz), hat Filmmusik geschrieben, Stücke für Leonard Cohen, für Roy Orbison, Tom Petty und George Harrison (in der nur kurze Zeit existierenden Gruppe Traveling Wilburys), 1994 das Woodstock-II-Festival ins Leben gerufen und fast 40 Alben herausgegeben. Und er mag auch Shakespeare.

Heinrich Detering: Die Stimmen aus der Unterwelt – Bob Dylans Mysterienspiele. C. H. Beck, München, 256 S., 19,95 Euro.

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