Gendergerechte Sprache Sprachwissenschaftler hält Gendern für problematisch

Bonn · Sprachlicher Konformitätsdruck erfasst nun auch die Kölner Stadtverwaltung und einen Erlanger Hörbuchverlag. Doch es gibt auch wissenschaftliche Stimmen gegen das Gendern.

 Der Genderstern und auch das Binnen-I sollen für gendergerechte Sprache sorgen - gelten aber als umstritten. Der Sprachwissenschaftler Martin Neef hält die Verwendung für politisch motiviert.

Der Genderstern und auch das Binnen-I sollen für gendergerechte Sprache sorgen - gelten aber als umstritten. Der Sprachwissenschaftler Martin Neef hält die Verwendung für politisch motiviert.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Endlich sagt’s mal einer: Gender-Stern und Binnen-I sind männerfeindlich. Für diese Erkenntnis braucht es einen kühlen Kopf aus dem Norden des Landes. Der Braunschweiger Sprachwissenschaftler Martin Neef hält das Gendern für problematisch. Die Verwendung des sogenannten Binnen-I für die weibliche Form eines Wortes oder des Gender-Sterns für alle Geschlechter sei politisch motiviert, sagte Neef. „Es wird von gewissen Kreisen sehr erfolgreich gefördert. Und wenn man nicht gendert, kann man so verstanden werden, dass man nicht für Gleichberechtigung ist.“ 

Das Wort „Teilnehmerin“ zum Beispiel bezeichne eine Frau, erläuterte Neef: „Und wenn ich einen Stern einbaue oder einen Buchstaben großschreibe, bleibt es immer noch ,Teilnehmer*in’ oder ,TeilnehmerIn’, also eine Frau. Damit sind also strukturell nur Frauen gemeint, weder Männer noch Diverse.“

Der Mund, die Nase, das Auge

Früher war die deutsche Sprache Neef zufolge geschlechtergerecht, auch ohne zu gendern. Heute aber lerne jeder in der Schule, dass Geschlecht und die grammatische Kategorie Genus dasselbe seien. „Das ist mitnichten so. Jedes Substantiv hat ein Genus, ist also maskulinum, femininum oder neutrum, etwa der Mund, die Nase oder das Auge. Mit dem menschlichen Geschlecht, das nur konkreten Personen zu eigen sein kann, hat das aber nichts zu tun. Die Genera der Sprache sind grammatische Kategorien, abstrakte Größen.“

Mit dieser Erkenntnis spräche nichts dagegen, Wörter wie „Teilnehmer“, aber auch „Arzt“, „Student“ und „Lehrer“ für alle Geschlechter zu benutzen, also auch für Menschen des Geschlechts divers, betonte der Experte: „Dann bräuchte niemand den Gender­stern.“ Weil sich aber in der Vergangenheit die „-in-Formen“ durchgesetzt hätten, habe sich daraus die Notwendigkeit ergeben, für das dritte Geschlecht eine neue Form zu erfinden.

„Liebe Anwesende“

Neef selbst lehnt das Gendern aber nicht kategorisch ab: „Wenn ich eine Frau vor mir habe, spreche ich sie natürlich als Journalistin an.“ Wenn er Vorträge übers Gendern halte, sage er schon mal „Liebe Anwesende“. „Ich möchte ja als respektvoll wahrgenommen werden und alle Menschen respektvoll ansprechen. Eine Form wie ,Teilnehmer*in’ ist für mein Empfinden aber nicht respektvoll.“

Stimmen der Vernunft haben Mühe, gegen eine Entwicklung Position zu beziehen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio, aber auch in Stadtverwaltungen phonetische und semantische Verbiegungen programmiert. Die Stadt Bonn lebt Geschlechtergerechtigkeit. Will sagen: „Geschlechtergerechtigkeit (Gender Mainstreaming) ist ein integrierender Prozess, der hinterfragt, inwieweit politische Entscheidungen und Verwaltungshandeln eine echte Chancengleichheit der Geschlechter erreichen.“ Die Stadt gehört dem Netzwerk „Gender@International Bonn“ an: „Gegründet 2014, setzt sich das institutionelle Netzwerk gender@international Bonn gemeinsam für erfolgreiche Geschlechtergleichstellung und den thematischen Ausbau des internationalen Standorts Bonn in diesem Feld ein.“

Schülerinnen und Schüler

Sprachlich hat das bis dato noch nicht zu nennenswerten Verwerfungen geführt. Eine Meldung der Stadt Bonn zum Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ spricht ganz klassisch von Schülerinnen und Schülern, die sich beteiligt haben. In Köln sind sie schon weiter. Die Angestellten und Beamten der Stadtverwaltung bekommen einen Leitfaden, in dem sie unterrichtet werden, wie sie „wertschätzend“ sprechen sollen. Der Leitfaden, man ahnt es, ist von einer Qualität, die den Spott vonseiten kritischer Beobachter wie ein Magnet anzieht. Jürgen Kaube, der fürs Feuilleton verantwortliche Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, informierte die Öffentlichkeit, dass die Verwaltung in Köln statt „jeder“ künftig „alle“ sagen muss, „weil jeder – Bürger, Kölner, Jeck – ja nur Männer anspreche“. Aus Fußgängern und Fußgängerinnen würden demnächst Zufußgehende. „Ob daraus dann auch Zufußgehendenzonen und -ampeln folgen, dürfte vom Bedürfnis der entsprechenden Beauftragten abhängen, sich weiter wichtig zu machen“, stellte Kaube fest.

Der Journalist arbeitete sich an einer langen Liste von absurd anmutenden Sprachreformen ab. Wendungen wie „Rufen Sie uns an“ und „Gehen Sie bitte zum Ausgang“ stehen künftig auf der schwarzen Liste, sie könnten Gehörlose und Rollstuhlfahrer verletzen. Die erlaubte Formel „Treten Sie an uns heran“ erscheint allerdings, man bedenke die Rollstuhlfahrer, nicht optimal.

Besser jemand als eine

Frauen sollen von sich nicht mehr als „jemand“, sondern besser als „eine“ sprechen. Und so weiter und so fort. „Was Wertschätzung ist, wird mithin recht einseitig, sehr weitgehend unter Inkaufnahme von Lächerlichkeit festgelegt“, lautete Kaubes nicht überraschendes Fazit. 

 Nun ist es ja unbestreitbar, dass Sprache sich verändert. Allerdings verweigert sich das Volk gern einem weltfremden Regelwerk, das die Obrigkeit ihm aufzwingen will. Ob die Zufußgehenden eine Zukunft im Alltag der Menschen haben, erscheint mehr als ungewiss.

Wer sich eine entspannte Distanz zu der leidenschaftlich geführten Debatte ums genderkonforme Neusprech bewahrt hat, entdeckt in dem Vorgang Züge einer etwas albernen Komödie. Dazu passt eine Pressemitteilung des Ronin Hörverlags aus Erlangen. Darin lobt sich der Verlag für das Erscheinen des ersten Hörbuchs, in dem gegendert wird: Dinko Skopljaks „Die Gestrandeten“.

Verzicht auf das *

In Skopljaks dem Hörbuch zugrundeliegendem Roman spielen Zombies eine tragende Rolle. Der Verlag ordnet das wie folgt ein: „Es heißt Zombiejagende – nicht Zombiejäger. Es heißt Messerwerfende – nicht Messerwerfer. Jedenfalls in unserem Hörbuch ,Die Gestrandeten’! Denn Autor Dinko Skopljak gendert in seinem Roman konsequent – etwas, was der Ronin Hörverlag auch in Zukunft unterstützen wird. Dabei verzichtet er auf das *, um den Lese-/Hörfluss nicht zu unterbrechen, und schließt trotzdem alle mit ein.“

 Alle eingeschlossen: Hörbuch „Die Gestrandeten“.

Alle eingeschlossen: Hörbuch „Die Gestrandeten“.

Foto: Ronin Hörverlag

Skopljak steht auf gegen eine aus seiner Sicht diskriminierende Sprache: „Ich rechtfertige mich nicht für gendergerechte Formulierungen und ob sich Ewiggestrige davon gestört fühlen. Vielmehr sollten sich diejenigen erklären, die veraltete und diskriminierende Sprachformen gutheißen, fördern und verteidigen.“

In dem Roman „Die Gestrandeten“ existiert die Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht mehr. Durch eine hoch ansteckende Seuche kehren Infizierte als blutrünstige Bestien von den Toten zurück. Währenddessen verschlägt es eine Handvoll Flüchtlinge auf eine Mittelmeerinsel. Im Angesicht der Apokalypse bündeln sie Ressourcen, um ihre Überlebenschancen zu steigern. Denn auch auf der Insel sind sie nicht sicher – weder vor der Epidemie noch vor anderen Überlebenden. Und schon gar nicht vor einer gendergerechten Sprache.

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