Buch-Tipp: Mooses Mentula Gipfeltreffen der Autoren
Bonn · Buch-Tipp: Der Finne Mooses Mentula lässt in seinem Roman rund um den Loser Tino Autoren wie Jack Kerouak, Charles Bukowski und Jean Austen auftreten. Eine spannende literarische Schnitzeljagd.
Diesen Dialog hat Tino womöglich schon hundertmal erlebt. „Ich weiß schon, dass du enttäusch bist“, sagt er dem Vater. Der darauf (obgleich er vor Wut kocht) antwortet: „Von was?“ „Von was wohl? Davon, dass ich auf die Vierzig zugehe und, verdammt noch mal, immer noch hier bin.“ Die Mutter darauf (auch das hat sie sicher dutzendfach beschwichtigend gesagt): „Selbstverständlich sind wir nicht enttäuscht…“
Tino ist auf ganzer Linie gescheitert: Mit der Uni wird es nichts, die Ausbildung als Straßenbahnfahrer musste er aus psychischen Gründen schmeißen, der Gang zum Sozialamt ist Routine. Als er nach dem Lebensmittel-Einkauf einen Second-Hand-Laden betritt, stürzt er fast über einen Schildkrötenpanzer. Für einen Zehner kann er ihn kaufen, bekommt auch noch ein Sortiment Bücher mit auf den Weg, den er mit Einkäufen bepackt und dem Schildkrötenpanzer auf dem Rücken antritt. „Mama, guck mal, eine Teenage-Mutanten-Ninja-Schildkröte!“, ruft ein Mädchen auf der Straße.
Eine Wundertüte mit Büchern
Es sind nicht irgendwelche Bücher, die Tino in der Plastiktüte trägt. Und sie verhalten sich anders, als es gewöhnliche Lektüre tut. Nach und nach infiltrieren Jean Genet („Querelle“), Charles Bukowski („Schlechte Verlierer“), Jack Kerouac („Unterwegs“) und Jack London („Südsee-Geschichten“) nicht nur das Leben des Losers, sie dringen auch tief in die Fantasie und schriftstellerischen Bemühungen Tinos ein. Der finnischer Autor Mooses Mentula, Jahrgang 1974, widmet ihm den fantastischen Roman „Der Schildkrötenpanzer“. Eine literarische Schnitzeljagd. Denn wie ein Chamäleon nimmt das Buch das Kolorit des jeweiligen Autors an. Ein luftig-leichtes, sprachlich raffiniertes Spiel mit verschiedenen Stilistiken und Figuren. Bald verschwimmen in Tinos Leben die Grenzen zwischen realem Alltag und literarischer Fiktion. Autoren, insbesondere Bukowski, der dem armen Tino wohl wesensmäßig am nächsten steht, helfen als Lebensberater. Ein Literatenkonzil, dem unter anderem Jane Austen angehört, versucht, Tinos Vita zu ordnen, die sich auch emotional in unerwartete Bahnen entwickelt. Edgar Allen Poe und George Orwell bekommen in dieser virtuosen Literaturcollage ebenfalls ihren Cameo-Auftritt. Der triste Bericht eines Taugenichts wandelt sich in ein schillerndes, mitunter sehr spannendes Roadmovie. Was davon der Realität entspringt, was der literarischen Welt aus der Wundertüte geschuldet ist? Am Ende weiß man es nicht.
Mooses Mentula: Der Schildkrötenpanzer. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Weidle Verlag, 254 S., 25 Euro.