Augsburger Puppenkiste im Wasserschloss Kemnade Helden der Kindheit zu Besuch in Hattingen

Bonn · Das Urmeli, Emma, Jim Knopf und ihre Freunde: Eine Ausstellung im Wasserschloss Kemnade in Hattingen widmet sich bis Mitte Februar den Schätzen der Augsburger Puppenkiste.

Ein Dinosaurierbaby, das aus dem Eis kommt, ein Findelkind, das sich mit einem Lokomotivführer anfreundet oder ein Räuber, der es auf die Kaffeemühlen von Seniorinnen abgesehen hat – sie und viele andere Figuren, die allesamt aus Holz geschnitzt und mit Hilfe von Strippen lebendig wurden, beflügelten unsere Fantasie, als wir klein waren.

Zu Zeiten, als es noch kein Privatfernsehen gab, keine Pay-TV-Sender und kein Streaming von Filmen via Internet, waren sie bereits Bildschirmstars. Ihnen, die viel mehr sind als nur Marionetten, widmet das Museum Haus Kemnade in Hattingen noch bis zum 12. Februar eine liebevoll gemachte Ausstellung (mit freiem Eintritt!). Im Mittelpunkt stehen „Die Helden der Kindheit“ aus der Augsburger Puppenkiste.

In drei Ausstellungsabteilungen wird die Geschichte des Figurentheaters erzählt, das in Augsburg mitten im Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um ab 1953 auch bundesweit bekannt zu werden – durch das damals noch junge Medium Fernsehen. Das Markenzeichen des Theaters, die aufklappbaren Kistendeckel, die daheim in Augsburg die Bühne verbergen, wurden dem Bildschirmformat angepasst – und fortan entfalteten sich dort Geschichten, die auf fernen Inseln spielten, in Märchenreichen oder dörflichen Gegenden.

Dreh- und Angelpunkt dafür sind die Marionetten. Anfangs wurden sie von Walter Oehmichen (1901-1977) geschnitzt, dem Theater-Prinzipal, später von dessen Tochter Hannelore. Oehmichens Frau Rose kleidete die Puppenstars ein, fertigte die Requisiten und sprach auch viele Mutter- und Großmutterrollen.

Stilecht in Kisten präsentiert, gibt es ein Wiedersehen mit Produktionen aus der Zeit Mitte der 1950er-Jahre bis hin zur Gegenwart. Auch einzelne Figuren sind zu sehen, hinzu kommen Skizzen, eine komplett aufgebaute Werkstatt und ein Mini-Kino, in dem sich Eltern, Kinder und deren Kinder „Urmel aus dem Eis“ (1969) und „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (die Neuverfilmung in Farbe von 1976/77) ansehen können. Wenn man sie dort kichern hört und in ihre vergnügten Gesichter blickt, dann weiß man, dass der Zauber von Oehmichens Puppen bis heute ungebrochen ist.

Sie können lustig, bedauernswert oder furchteinflößend sein, niedlich, gewitzt oder altklug, gütig, wichtigtuerisch oder tapfer – und meistens sind sie ungemein menschlich. Wer könnte es dem König von Pumpelonien verdenken, dass er lieber schläft und „Mensch ärgere dich nicht“ spielt, als zu regieren? Oder seinem Sohn, dem Thronfolger, dass er die hübsche Gärtnertochter einer Prinzessin vorzieht, die sogar Drachen mit ihrer Putzwut das Fürchten lehrt? Manche der Stücke, bei denen es um autoritäre Systeme, Profitgier oder Gleichberechtigung geht, sind erstaunlich modern.

Zu sehen sind nicht nur die Fernsehstars, sondern auch Ur-Marionetten aus der Gründerzeit des Theaters und solche, die im Mittelpunkt des Kabaretts für Erwachsene stehen, das jedes Jahr an Silvester in Augsburg Premiere hat. Da stellt man dann erstaunt fest, dass ein Zauberer mit Hut aus „Der Froschkönig“ (1948) noch kniehoch ist – später waren die holzköpfigen Helden wesentlich kleiner. Und angesichts der Kabarettdarsteller bewundert man, wie perfekt deren typische Merkmale eingefangen wurden. Michael Jackson, Arnold Schwarzenegger oder den Bayernkönig Ludwig II. erkennt man sofort.

In der Werkstatt kann das Auge lange verweilen. Zwischen all den Farbdosen, Holzmodeln und Schnitzwerkzeugen, Leimtöpfen, Pinseln und Putzlappen, Gelenken, Drehkreuzen und Scharnieren, die in Schubladen, Corned-Beef-Dosen oder Zigarrenschachteln untergebracht sind, entdeckt man immer etwas Neues. Und dass das Ei, aus dem das „Urmeli“ schlüpft, aus gelb bemaltem Styropor ist und die Farnwedel eigentlich grüne Federn sind, hat man am Bildschirm nicht gemerkt.

Blickfang ist ein tischgroßes Modell von Lummerland mit den zwei Inseln, der Lokomotive Emma und dem Schloss von König Alfons dem Viertelvorzwölften. Die Berge sind aus mit Leim verstärktem bemaltem Sackleinen modelliert, das Meer besteht aus Plastikfolie auf blauem Untergrund. Oft waren es die kleinen, eher unspektakulären Dinge, die große Wirkung erzielten.

Mit „Steffi – Ein Sommermärchen“ (einem Stück, das von der berühmten Ex-Nationalspielerin, WM-Organisatorin und jetzigen Frauenfußball-Nationaltrainerin Steffi Jones inspiriert wurde und mit dem die Augsburger 2011 durch acht WM-Austragungsorte tourten) ist die Schau in der Neuzeit angekommen. Die Produktivität des Puppentheaters ist ungebrochen. Im diesjährigen Advent läuft die Marionettenverfilmung der biblischen Weihnachtsgeschichte bundesweit in unseren Kinos.

Ein Besuch des Museums im Wasserschloss Kemnade lohnt auch sonst. Dort ist außerdem eine Sammlung historischer Musikinstrumente und eine Sammlung von Ostasiatika zu sehen, es gibt wechselnde Kunstausstellungen und ein Bauernmuseum (alles kostenlos). In unmittelbarer Nähe lockt der Kemnader See zu Spaziergängen, sonn- und feiertags fährt die historische Eisenbahn ins Eisenbahnmuseum Dahlhausen, und auch die nahe gelegene historische Altstadt von Hattingen mit ihren verwinkelten Fachwerkhausgassen lohnt einen Abstecher.

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