Buchhändler des Jahres Alfred Böttger „Ich werde jetzt nichts anders machen“

Bonn · Der Wahl-Bonner Alfred Böttger ist Buchhändler, ein begeisterter Literaturvermittler, ein Enthusiast – und nun mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet. Ein Besuch in seinem Laden in der Nähe des Hauptbahnhofs.

 Bücher sind sein Leben: Alfred Böttger, Deutschlands bester Buchhändler.

Bücher sind sein Leben: Alfred Böttger, Deutschlands bester Buchhändler.

Foto: Benjamin Westhoff

Charles Bukowski tanzt. Er swingt. Mitten auf der Straße. Seine Lebensgefährtin swingt mit ihm auf dem regennassen Asphalt. Und im Bildhintergrund trabt ein Pferd über den Gehweg. Es ist eine ebenso skurrile wie seltsame Aufnahme, sie ist undatiert und sie verströmt sofort gute Laune, wenn man sie betrachtet.

Das großformatige Foto hängt vor einem Bücherregal im Ladenlokal an der Bonner Maximilianstraße 44, gegenüber von Alfred Böttgers Schreibtisch. Wenn dem Buchhändler die lästigen, aber unabdingbaren Pflichten des Alltags wieder einmal aufs Gemüt schlagen, wird Charles Bukowski zu seinem Stimmungsaufheller. Ein Blick nach schräg links genügt.

Derzeit dürften die Dienste des abgelichteten legendären, in Andernach geborenen amerikanischen Radikalpoeten Bukowski jedoch kaum gefragt sein. Denn Alfred Böttger hat Grund genug, selbst einen Freudentanz aufzuführen. Von Monika Grütters, der Staatsministerin für Kultur und Medien, wurde er mit dem Deutschen Buchhandlungspreis 2016 ausgezeichnet, und zwar in der obersten Kategorie „Beste Buchhandlung Deutschlands“ – als einer von drei Preisträgern bundesweit.

Iris Radisch, Feuilletonchefin der Wochenzeitung Die Zeit, sagte in ihrer Laudatio über Böttgers Laden: „Ein Traum von einer Buchhandlung.“ Für den Geehrten allerdings kein Grund, abzuheben. „Ich werde nichts anders machen. Ich habe nur vor, mein Sortiment zu verfeinern“, sagt Böttger zu Beginn unseres mehr als dreistündigen Gespräches im Untergeschoss seines Refugiums für Bibliophile, in dem er neben weiteren Bücherregalen auch eine Galerie beherbergt.

Nicht die attraktivste Lage

Mit dem Standort seiner Buchhandlung am Bonner Loch, den Hauptbahnhof in Sichtweite, befindet er sich nicht eben in der attraktivsten Lage. „Es ist nicht leicht“, sagt Böttger. Die üblichen Bestseller und die Stapelware findet man bei ihm nicht, ebenso wenig wie herkömmliche Reiseführer. Es gibt nur eine Handvoll Kriminalromane. „Meine Bücher, die in meiner Buchhandlung stehen, haben alle eine lange Verweildauer. Das sind keine Renner. Man muss sich um jedes einzelne Buch bemühen und den richtigen Kunden dafür finden.“

Alfred Böttger ist viel mehr als ein Buchhändler. Er ist ein Literaturvermittler, ein bibliophiler Enthusiast. „Man muss versuchen, die Begeisterung, die man selber für Bücher hat, auf die Leute überspringen zu lassen. Und das gelingt zuweilen.“

Der Mann besitzt das faszinierende Charisma eines Philosophen, die intellektuelle Aura eines Schachgroßmeisters und die geistige Architektur eines allwissenden Bibliothekars. Assoziationen an Karl Konrad Koreander aus Michael Endes „Die Unendliche Geschichte“ drängen sich unweigerlich auf, auch an Endes Meister Hora aus „Momo“.

In Böttgers atmosphärischer Buchhandlung ragen die prall gefüllten Bücherwände vier Meter hoch bis zur Stuckdecke. Eine Paradies für Bücherliebhaber. Was er allerdings auch weiß: „Die Schwelle, hier in meinen Laden zu kommen, ist hoch. Ich freue mich über jeden, der eintritt und guckt. Und wenn er ohne Buch rausgeht und wiederkommt, freue ich mich auch.“

Immer wieder sagen Kunden zu ihm: Seit ich Ihre Buchhandlung kenne, habe ich wieder mit dem Lesen angefangen. Oder: Ich habe in Ihrer Buchhandlung eine Entdeckung gemacht und nun möchte ich die nächste Entdeckung machen. „Das bestärkt mich in meiner Arbeit, so weiter zu machen, wie ich vor zwölf Jahren in Bad Godesberg angefangen habe.“ Böttger ermöglicht Entdeckungen. Zwischendrin schafft er Inseln in seiner wundersamen Buchhandlung, legt hier und dort Titel auf den Tischen dazwischen, die gerade aktuell sind. „Sparsam und zurückhaltend, aber ich mache es.“

Besonderes Interesse für Backlist

Besonders interessiert sich Alfred Böttger für die zurückliegenden, älteren Titel der Verlagshäuser, die sogenannte Backlist. Diese Liste der vergessenen Bücher macht gut 80 Prozent seines Sortiments aus. „Da gibt es wunderbare Sachen.“ Der Begriff Sortimenter sei „nicht gerade schön, aber ich sortiere ja, ich stelle zusammen“. Und: „Ich bestelle jedes Buch, das auf dem Markt ist – es sei denn, es handelt sich um Faschismus oder Pornografie. Ansonsten bestelle ich auch Bücher, die mir nicht gefallen.“ Häufig erhalte er aber auch Anregungen von Kunden, „und ich gehe jeder Anregung nach“.

Groß geworden ist Böttger mit den Märchen „in all ihren Schattierungen“, weniger mit Karl May oder Lederstrumpf-Abenteuern. Im Alter von zwölf Jahren begann er, sich mit Gedichten zu beschäftigen. Wilhelm Lehmann wird für ihn zu einem sehr wichtigen Lyriker, ebenso wie ihn der Dichter Christoph Martin Wieland fasziniert.

„Schuld und Sühne“ von Dostojewski habe er „viel zu früh gelesen und schlaflose Nächte gehabt“. Den Klassiker habe er aus diesem Grund nie wieder angerührt, auch nicht in der Übersetzung von Swetlana Geier, die in Alfred Böttgers Übersetzer-Veranstaltungsreihe zu Gast in seiner Buchhandlung war.

Als er 14, 15 Jahre alt war, stieß Alfred Böttger auf die gesammelten Maulwürfe von Günter Eich. Er war ganz begeistert und hatte sich dann damit beschäftigt, sammelte Zeitungsartikel und Rezensionen. „Ich stellte fest, dass es einen Riss durch die Feuilletons gab. Die eine Gruppe, angeführt von Marcel Reich-Ranicki, empfand die Maulwurftexte von Eich als trivial, als Kalauer, als Un-Literatur.

Die andere Gruppe hielt das für hohe Literatur, und auch die große, alte Dame Marie-Luise Kaschnitz schätzte die Maulwürfe sehr.“ Somit wird klar, warum in Alfred Böttgers Buchhandlung kein einziges Buch von Reich-Ranicki zu finden ist, aber alle lieferbaren Titel von Kaschnitz bereit stehen. „Es gibt zahlreiche Stationen in meinem Leben, die mein Sortiment beeinflusst haben.“

Herumdümpeln in der Schreibwarenabteilung

In Recklinghausen machte Böttger seine Buchhändlerlehre, in F. Albys Buchhandlung Nachfolger Gregor Sprissler. Ein Buchhändler von altem Schrot und Korn, der dem jungen Lehrling viel abverlangte. „Die Lehre hat mich oft an den Rand der Verzweiflung getrieben“, sagt Böttger. „Aber ich habe eine ganze Menge davon in meinen Laden übertragen.“

In den ersten drei Monaten der Lehre dümpelt er in der Schreibwarenabteilung der Buchhandlung herum: „Ich wusste, wie jeder Spitzer beschaffen ist und wie viele verschiedene Bleistifte es gibt.“ Schließlich beschwert sich der junge Alfred Böttger bei seinem Chef, und Gregor Sprissler nimmt eine Strafversetzung vor – in die Chemiebücher-Abteilung seines Geschäftes. Weil sich der ambitionierte Lehrling dort jedoch wider Erwarten hervorragend einarbeitet und behauptet, gewährt ihm der Chef Zugang in die lang ersehnte Literaturabteilung.

Dort baut Böttger etwa eine Lyriksammlung auf und stellt für einen seiner besten Kunden, den berühmten Film- und Theaterschauspieler Dieter Borsche, ein Lyrikkonvolut zusammen. Seine erste Lesung bringt keinen Geringeren als Alfred Andersch ins Haus. „Ich war verschüchtert, stammelte eine Einleitung und trug ’ne Fliege.“

Ende der 90er Jahre verkauft Böttger in seinen „Nebenstunden“ für Freunde eine Privatbibliothek – „quer durch den Garten, rund 40.000 Titel“. Der Verkauf erfolgt blockweise und erstreckt sich über zwei Jahre. Über drei Ecken erfahren zwei Töchter eines Verstorbenen davon und bitten Böttger, die Düsseldorfer Bibliothek des Verblichenen zu veräußern. Eine Spezialsammlung: 15.000 Titel aus den Bereichen Byzantinistik, frühe christliche Kunst und Ikonengeschichte. Zusammen mit einem Partner entsteht die Idee, damit ein Antiquariat zu gründen. „Wir haben den Höchstbietenden dann noch überboten und die Bibliothek selber gekauft.“

Kleines Kulturzentrum

Der Partner steigt jedoch aus, so dass Alfred Böttger im November 2004 im Bad Godesberger Villenviertel seinen ersten eigenen Laden eröffnet, als Rüngsdorfer Buchhandlung und Antiquariat.

Nach anderthalb Jahren hat sich der Laden zu einem kleinen Kulturzentrum entwickelt, doch der Kundenstamm beschränkt sich auf das gut situierte Bildungsbürgertum – viel zu wenig Laufkundschaft, um die Buchhandlung dauerhaft erfolgreich zu betreiben. Im September 2008 eröffnet Böttger in der Bonner Innenstadt, und vor zwei Jahren ist er auch privat von Düsseldorf in die Beethovenstadt gezogen. Er will Lebendigkeit in seiner Buchhandlung.

Mit Lesungen, Kunstausstellungen und Sonderreihen, in denen sich Übersetzer und kleine Verlage vorstellen, schafft Böttger ein inspirierendes und dichtes Veranstaltungsprogramm. Er hat eine sehr schöne Auswahl für junge Leser („Eine Buchhandlung ohne Kinderbücher ist eine Buchhandlung ohne Zukunft“), und er bringt am Heiligen Abend bestellte Bücher noch bis in den Abend hinein zum Kunden an die Haustür.

Ein Traum von einer Buchhandlung, sagte Iris Radisch in ihrer Laudatio. Stimmt. Und stimmt wiederum nicht: Denn zum Glück ist die Buchhandlung Böttger in der Wirklichkeit anzutreffen.

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