"Noah"-Ballett in der Bonner Oper Im Anfang war der Tanz

Das Malandain Ballet Biarritz gastiert mit der Choreografie „Noah“ in der Bonner Oper. Die getanzte Sintflut begeistert das Publikum.

 22 Tänzer und Tänzerinnen erzählen Noahs Mythos als Geburt einer neuen, besseren Welt. FOTO: OLIVIER HOUEIX

22 Tänzer und Tänzerinnen erzählen Noahs Mythos als Geburt einer neuen, besseren Welt. FOTO: OLIVIER HOUEIX

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Gut, dass Thierry Malandains aktuelle Choreografie ihr Thema im Titel verrät – sonst wüsste wohl niemand, worum es geht. Mit „Noah“ erzählt das Malandain Ballet Biarritz in der Bonner Oper eine bis zum Äußersten abstrahierte Fassung der biblischen Sintflut.

Eine Wasserwand aus blau glitzernden Fadenvorhängen rahmt die Bühne ein, die nur mit einer die volle Breite einnehmenden Bank möbliert ist. Hier sitzen die 22 Tänzer und Tänzerinnen der Compagnie nebeneinander aufgereiht, bevor sie anfangen, Noahs Mythos als Geburt einer neuen, besseren Welt zu erzählen: „Die zweite Schöpfung“, so Malandain, „ersetzt die erste, welche durch das Übel und die Schwäche der Menschen entstellt wurde.“ Gioachino Rossini liefert die Musik dazu.

Die frühe Messa di Gloria, 1820 noch mitten in seiner Schaffensphase als Opernkomponist entstanden, wurde erst Ende des letzten Jahrhunderts wieder ausgegraben. Zwischen strenger Fuge und irrlichternder Koloraturarie, religiöser Andacht und geballter Theatralik übersetzt Malandain jeden Ton von Kyrie und Gloria in ein Wort seiner neoklassischen Tanzsprache – wie immer rhythmisch auf den Punkt und höchst musikalisch.

Zunächst ist „das Übel“ zu verhandeln, hier angedeutet durch den Brudermord Kains an Abel. Wer erst einmal begriffen hat, dass in dieser Sintflut verschiedene Zeitebenen des ersten Buchs Mose zusammenströmen, ist nicht überrascht, wenn gegen Ende des Stücks auch noch Adam und Eva aus den Wassern auftauchen. Tiere sind in Malandains Arche zunächst nicht vorgesehen, nur Menschen, die ihr altes Leben verlieren, um ein neues zu finden.

Sie tun es besonders effektvoll in der Gruppe: nebeneinander, mit verschränkten Armen eine große Welle heraufbeschwörend, oder die Rücken beugend, damit eine Tänzerin vorsichtig darüber balancieren kann wie auf Trittsteinen durch eine Furt. Die technisch anspruchsvolle Choreografie, auf flacher Sohle getanzt, vereint klassische Eleganz und Flüssigkeit mit Elementen von Stammestanz, nicht durchgestreckten Beinen, stampfenden Füßen, eckig geruckten Köpfen und Armen. Im Anfang dieser Genesis ist nicht das Wort, sondern der Tanz.

Das tierische Element kommt zu seinem Recht, wenn das Ensemble mit hängenden Köpfen dumpf im Kreis schlurft oder über die Bühne stakst wie eine Kolonie von Stelzenvögeln. Doch im nächsten Moment ist da wieder ein hinreißendes Duett, Terzett oder Quartett voller Anmut und Bewegungen, die weit ausgreifen und in der Hoffnung auf neues Leben zum Himmel streben. Zum Beispiel der Pas de deux von Rabe und Taube, der zum Klarinettensolo im Gloria den Flug der Vögel über die langsam trocknende Erde in federleichter Dynamik abbildet. An Abwechslung mangelt es „Noah“ nicht. Trotzdem hat die 70-minütige Choreographie Längen, weil sie Variationen des Gleichen aneinanderreiht, ohne einen wirklichen dramatischen Aufbau oder Steigerungsbogen erkennen zu lassen.

Am Ende folgen alle dem Beispiel von Adam und Eva und entledigen sich ihrer erddunklen Kleidung, um in hautfarbenen Trikots in die Welt hinauszugehen. Neue Adams und Evas, aus den Tiefen des Wassers hervorgegangen. Aber das Heilsversprechen ist brüchig. Kein Regenbogen erscheint auf der Bühne, und der nächste Sündenfall lässt nicht lange auf sich warten. „Noah“ endet, wie es angefangen hat: Kain ermordet Abel noch einmal.

Im Publikum keine Beklemmung, sondern großer Jubel für das Malandain Ballet aus Biarritz.

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