Streaming-Angebot „Inventing Anna“ und die Qual der Serien-Wahl

Meinung | Bonn · Die Welt der Streaming-Serien wird immer bunter. Sie erlauben den zeitweisen Ausstieg aus dem Alltag – und machen ihn gleichzeitig anstrengender, findet unser Autor.

 „Inventing Anna“: Julia Garner als Anna Sorokin alias Anna Delvey.

„Inventing Anna“: Julia Garner als Anna Sorokin alias Anna Delvey.

Foto: AP/Aaron Epstein

Am vergangenen Samstag fragte Vladimir Balzer im Deutschlandfunk Kultur die Hörer: „Was sind Ihre Lieblingsfilme und -serien?“ Zwei Stunden lang spulten Kinofans und TV-Serien-Aficionados ihre Hitlisten ab und nutzten die Gelegenheit, die Vorzüge der Lichtspieltheater (Magie der großen Leinwand) oder aber des Heimkinos (luxuriöse Rezeptionsbedingungen) zu betonen. Deutlich wurde hier wie dort, mit welcher Leidenschaft die Menschen die im Kino und im Streaming-Format erzählten Geschichten verfolgen. Serien „liest“ das Publikum heute wie die Bewohner des 19. Jahrhunderts Romane von Balzac und Zola, Dostojewski und Dickens. Das ist die gute Nachricht. Da sich immer mehr Streaming-Giganten – Netflix, Amazon Prime Video, Apple TV+, Disney+ und Sky – um die Gunst und das Geld der Zuschauer bemühen, wird der Markt regelrecht mit Inhalten (neudeutsch: Content) überschwemmt. Es fällt schwer, den Überblick zu behalten, ein Leben neben den Serien zu gestalten und nicht an der Qual der Wahl zu verzweifeln.

Harte Probe

Diese Woche stellt die Anhänger von gehobener Serienunterhaltung auf eine harte Probe – vor allem, wenn sie bei mehr als einem Anbieter Kunden sind. Am vergangenen Freitag hat Netflix „Inventing Anna“ gestartet: neun Episoden, in denen Julia Garner die Betrügerin Anna Sorokin verkörpert, und zwar auf atemberaubend faszinierende Weise. Mal ist sie ein Miststück, mal bemitleidenswert, in einem Moment brillant, im anderen biestig.

Wer das bis kommenden Freitag zu Ende gebracht hat, verdient einen Preis für Zeitmanagement. Wäre gut, denn bei Amazon Prime Video geht am 18. Februar „The Marvelous Mrs. Maisel“ (vierte Staffel) auf Sendung. Rachel Brosnahan in der Titelrolle gehört zu den witzigsten (fiktiven) Frauen der Welt. Damit nicht genug. Apple TV+ hat den Freitag zum Ereignistag gemacht. Nach „The Morning Show“ mit Jennifer Aniston und Reese Witherspoon gibt es jetzt jede Woche eine neue Episode von „Servant“ und „Suspicion“. Beide Serien definieren nicht den Kunstbegriff neu, sie erlauben aber einen entspannenden zeitweisen Ausstieg aus einer komplexen Gegenwart. Deren Komplexität resultiert nicht zuletzt aus dem Überangebot der Serien-Macher.

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