Interview Joachim Blüher kehrt nach 17 Jahren aus Rom zurück

Bonn · 17 Jahre lang war Joachim Blüher Direktor der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Jetzt ist er wieder in Bonn und zieht Bilanz.

 Kunst ist spannend wie ein Boxkampf: Joachim Blüher beim Gespräch in der GA-Redaktion. FOTO: WESTHOFF

Kunst ist spannend wie ein Boxkampf: Joachim Blüher beim Gespräch in der GA-Redaktion. FOTO: WESTHOFF

Foto: Benjamin Westhoff

17 Jahre in Rom und jetzt wieder in Bonn. Ein Kulturschock?

Joachim Blüher: Ja.

Schlimm? Wie hat sich das geäußert?

Blüher: Erstmal der Verkehr: Mit meinem eleganten römischen Fahrstil wurde ich hier ziemlich hart ausgebremst. Ein Dachdecker in Mehlem wollte mich verprügeln. Dann habe ich mich wieder hochgerobbt, bin mit meiner Yamaha rumgefahren. Durchs Siebengebirge oder Richtung Mayen. Da ist es so wahnsinnig schön. In Maria Laach war ich dann wieder versöhnt, habe eine Felche aus dem See gegessen. Da ging es mir noch besser. Jetzt habe ich das Gefühl: Langsam müssten die Ferien doch rum sein – ich muss wieder an den Schreibtisch.

Sie sind also richtig im Ruhestand?

Blüher: Es gibt Projekte, etwa Kulturberatung. Das ist aber noch nicht spruchreif. Ich werde angesprochen von verschiedenen öffentlichen Institutionen. Ich lasse mir aber Zeit. Ich war zu durcheinander bei meinem Abschied im Juni.

Was nehmen Sie mit aus der Villa Massimo, aus Rom?

Blüher: Über vier Hektar Park mit uralten Bäumen, Beziehungen, die sich aufgebaut haben, die am 6. Juni in einem Fest kulminiert sind, das die Stipendiaten und Mitarbeiter für mich ausgerichtet haben. Das war an Schönheit nicht zu überbieten. Ein ganz großer Schlussstrich.

Und Rom?

Blüher: Das war mein Zuhause, zur Zeit ein wenig runtergekommen. Rom ist eine tolle Stadt, das Land ist toll. Es haben sich wunderbare Freundschaften entwickelt. Und wenn Sie mich nach der Politik fragen: Die hat mich nie interessiert.

Hatten Sie nicht auch mit politischen Figuren zu tun gehabt?

Blüher: In Italien nicht, in Deutschland ja. In Italien war es einfach schwierig und in der Regel erfolglos.

Wie viele Stipendiaten sind unter ihrer Ägide in die Villa Massimo gekommen?

Blüher: In der Villa Massimo 180, in der Casa Baldi in Olevano Romano waren es noch einmal über 200 Stipendiaten. Aber die Zahl sagt herzlich wenig.

Welche Entdeckungen haben Sie dabei gemacht?

Blüher: Ich habe keine Entdeckungen gemacht. Ich war für die Stipendiaten da, ganz egal wer es war, da gab es keine Unterschiede. Ich habe sie auch nicht ausgewählt. Zu manchen haben sich Freundschaften ergeben, aber ich war eher Direktor als Kumpel. Gerade fand in Bonn der zweite Jour fixe statt mit Komponisten aus der Villa und einem berühmten Orgelbauer, der Praxis-Stipendiat in der Villa Massimo war. Es ist schon etwas geblieben.

Kannten Sie den Orgelbauer Philipp Klais schon früher?

Blüher: Ja, natürlich. Sein Vater ist ein uralter Kunde meiner Frau, die ihre Schmuck-Galerie in der Bonner Südstadt hat. Immer zu Ostern kaufte er wunderbaren Schmuck für seine Frau.

Wie kam Klais nach Rom?

Blüher: Eine Tänzerin hatte das Praxisstipendium wegen schwerer Krankheit absagen müssen. Ich habe Philipp Klais angerufen. Er sagte nach 24 Stunden ja. Und kam 2018 zu uns. Er war anregend, umwerfend. Der Bonner Jour fixe, der jetzt „Beethoven-Runde“ heißt, fängt an mit ihm in Rom.

War ihre Affinität zur Musik früher auch so groß?

Blüher: Nein, ich komme von der Kunst. Ich hatte einen begabten Vater mit einer bedeutenden Violine, habe selbst aber völlig erfolglos Schlagzeugunterricht bekommen – das Interesse für Musik blieb. Aufgeführte Musik ist großartig. Mit Abstand das meiste Geld in der Villa Massimo ist in Musik geflossen.

Den Kontakt zur bildenden Kunst haben Sie nicht verloren?

Blüher: Nein. Aber es ging mir in Rom mehr um das Fortkommen der Künstler. Ich war nicht für die Kunst in der Villa Massimo da, sondern für die Künstler.

Wie kommen Herr Klais und das Praxis-Stipendium ins Spiel?

Blüher: 2008 habe ich mir das Praxis-Stipendium ausgedacht. Grundgedanke war: Techniker sind wichtig in der Kunst. Deshalb wollte ich Handwerker in die Villa Massimo bringen. Weil die, wenn es die besten sind, auch das Gesicht Deutschlands formen. Wie Künstler und Schriftsteller. Ich wollte, dass man uns dieses Deutschland aus den Händen reißt. Die Künstler werden von der Jury ausgewählt, über die Praxis-Stipendiaten konnte ich entscheiden. Dabei waren das gar nicht alles meine Ideen. Doris Dörrie zum Beispiel hat mir Josef Wagner, einen Bäcker vom Starnberger See, empfohlen. Das war einer der größten Scoops, die es je in der Villa Massimo gegeben hat.

Wie sah Ihr Kulturprogramm aus?

Blüher: Ich habe immer wieder neue Dinge ausprobiert, war etwa mit der Musik und einer gesunden Arroganz im größten Konzertsaal Roms. Der fasst 4000 Besucher, wir waren aber am Anfang nur 150. Wir haben uns auf der Bühne versammelt, den Rest leer gelassen – ein ungeheures Hörerlebnis, wenn die Musiker gut sind. Und dann: Ich wollte nie ein zufriedenes Publikum. Ich wollte eines, das sagt: Ich will mehr! Bei unseren Sommerfesten, die immer auch große Präsentationen der Stipendiaten waren, gab es ewig lange Schlangen vor der Tür. Ich wollte den Italienern zeigen: man will zu den Deutschen. Das Bild Deutschlands: Geistvoll, kreativ, charmant, humorvoll – dass hat uns erstmal doch keiner geglaubt. Das haben aber die Stipendiaten zusammen mit mir erreicht. Und es hat großen Spaß gemacht. Bessere Feste als die Römer, dachte ich, kann man nicht veranstalten, aber man kann doch.

Wie soll das gehen?

Blüher: Unkonventionell, großzügig und gastfreundlich sein. Und immer erstklassig.

Zum Beispiel?

Blüher: Ich hatte am Anfang nur 25 000 Euro jährlich für Veranstaltungen. Das spornt an. Zum Beispiel, eine Ausstellung mit nur zwei Bildern zu machen, eines von Enzo Cucchi, eines von Georg Baselitz. Die Bilder wurden eigens für die Ausstellung gemalt, und natürlich wollte jeder der Bessere sein, wie beim Boxkampf - nur einer konnte gewinnen. Das hat dem Publikum gefallen. Beide Künstler hatten mich jeweils gefragt, was der andere so vorhabe. Ich habe nur wenige Informationen rausgelassen, und so hat sich das langsam hochgesteigert. Berührend schön war auch das Aufeinandertreffen von Jörg Immendorff und Jannis Kounellis. Einzigartig. Dazu gab es Grissini, einen bescheidenen Wein und immer wunderschöne Einladungskarten. Es hat gewirkt. Das wurde Kult in Rom und am Ende waren es 21 Begegnungen – alles was Rang und Namen hat in Deutschland und Italien.

Und das Publikum machte mit?

Blüher: Nach der zweiten Ausstellung kam BMW als Sponsor dazu, und dann wurde das Format groß. Mit diesen ganzen Aktivitäten wuchs die Fama der Villa Massimo: Villa Massimo, das wurde ein Ort, da wollten alle hin. Das habe ich gepusht, wo ich konnte.

Blieb es so sparsam?

Blüher: Der Etat wuchs unter meiner Leitung von 980 000 Euro auf jetzt 2,2 Millionen Euro vom Bund. Immer noch viel zu wenig für ein Haus dieser Strahlkraft.

Weckte das Begehrlichkeiten bei der Politik?

Blüher: Nein. Alle waren mit unseren Ergebnissen zufrieden. Die Franzosen haben bei ihrer Akademie in Rom einen Etat von 8,6 Millionen, die Amerikaner einen von 11,4 Millionen Euro. Trotzdem segelte die Villa Massimo voran. Wir waren nie hoheitlich, nie staatstragend, aber bei uns war alles von hoher Qualität. Wir waren hedonistisch, aber das war ein geistiger Hedonismus. Wir waren ein Schaufenster Deutschlands. Gute Ware.

Jetzt sind Sie wieder in Deutschland. Wie sehen Sie das Land?

Blüher: Es gibt eine Menge Dinge, über die man sich in Deutschland freuen kann. Nur: Ein bisschen mehr lächeln. Und manchmal jemanden in den Arm nehmen! Das wäre schön.

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