„Dschungelbuch“ in der Rheinaue Junges Theater Bonn feiert Premiere im Kulturgarten
Bonn · Erste Open-Air-Premiere des Jungen Theaters Bonn: „Dschungelbuch“ im Kulturgarten. Regisseur Niemeyer hält sich an das Original von Kipling.
Für schönes Wetter bei der ersten Open-Air-Premiere in der über 50-jährigen Geschichte des Jungen Theaters Bonn hatten Intendant Moritz Seibert und sein Team gebetet. Höchst erfolgreich, auch wenn die Sonne es am Samstagnachmittag etwas zu gut meinte, was dem Publikum im BonnLive-Kulturgarten bei über 35 Grad im Schatten eine solide Hitzeresistenz abverlangte.
Schattenplätze gibt es freilich auf dem großen Gelände nicht, manche Familien hatten sich vorsorglich Schirme und nasse Handtücher mitgebracht. Für ihre Ausdauer wurden sie belohnt mit einer sehr gelungenen neuen Vorstellung des „Dschungelbuchs“ des in Bombay geborenen britischen Literatur-Nobelpreisträgers Rudyard Kipling.
Für leichte Abkühlung auf der Bühne sorgten zwei große Sprühventilatoren, die auch gleich noch den Urwaldnebel heraufbeschworen für die Geschichte vom Findelkind Mowgli, das von einer Wolfsfamilie adoptiert wird und die Gesetze des Dschungels lernt, bevor es als junger Erwachsener zu den Menschen heimkehrt. Der 1894/95 erschienene Roman-Klassiker gehört zu den immer wieder neu zu entdeckenden Stücken am JTB.
2013 inszenierte Seibert selbst das Werk; seine Bühnenbearbeitung ist jetzt Grundlage für den Regisseur Bernard Niemeyer, der damals unter anderem den Tiger Shir-Khan verkörperte. Für etwas Kino-Feeling sorgt zwar der Werbungsvorspann auf der Großleinwand im Hintergrund, im Bühnenbild von Anneliese Jankowicz dienen die Videos jedoch der geheimnisvollen Farbenvielfalt des Dschungels.
Eine mehrstufige Podesterie mit Blättervorhängen veranschaulicht die tropische Wildnis zwischen alten Baumriesen und grünem Gebüsch. Die Kostüme von Katharina Kastner erlauben mit Tüchern und markanten Requisiten schnelle Rollenwechsel, beispielsweise von der kichernden Affenherde im Dauerparty-Taumel zum grotesken Aufmarsch des Elefantenregiments mit lustig von den Hüten baumelnden Rüsseln und grauen Riesenfüßen.
Im indischen Gewand
Disney-Hits wie „Versuchs mal mit Gemütlichkeit“ gibt es nicht. Die Inszenierung bleibt näher an Kiplings Original als die beliebten Animationsfilme. Sie nimmt den Stoff bei allem Unterhaltungswert durchaus ernst.
Gleich zu Beginn erscheint Sandra Kernenbach im indischen Gewand als Erzählerin mit einem großen Buch und stellt die zeitlosen Grundfragen: Wer sind wir, Mensch oder Tier? Woher kommen wir, wohin gehen wir? Mowgli muss am Ende eine schwere Entscheidung treffen, wird seine wunderbaren tierischen Freunde aber gewiss nicht vergessen. Tristan Witzel, der schon in etlichen JTB-Produktionen mitwirkte und fast schon zum erwachsenen Profi-Ensemble zählt, spielt ungemein überzeugend das schutzlose, halbnackte Menschenkind, das in der Obhut des Wolfsrudels aufwächst.
Hinreißender Balou
Absolute Sympathieträger sind natürlich Nima Conradt als tollpatschiger, aber keineswegs bloß dummer Bär Balou und Andrea Brunetti als geschmeidige schwarze Pantherin Baghira mit ebenso viel Herz wie Verstand. Lukas David Maurer mimt neben anderen Tieren vor allem den gefährlichen Tiger Shir-Khan, der Mowgli nach dem Leben trachtet. Jan Herrmann spielt Vater Wolf und den durchgeknallten Affenkönig, hat aber seinen größten Auftritt als seniler Elefantenoberst Hathi, der stolz seine vielen Orden am Rollator vor sich her schiebt.
Olja Artes ist die fürsorgliche Mutter Wolf, ein kokettes Affengirl, ein vorlauter Juniorelefant und insbesondere die grün schillernde Würgeschlange Kaa, deren hypnotischem Blick Mowgli nur mit Hilfe von Baghira und Balou entkommt. Als Menschenmädchen Shanti heißt sie schließlich das Dschungelkind in ihrem Dorf willkommen.
Der bekannte Musical-Komponist Marc Schubring hat zu den spannenden Abenteuern einen stimmungsvollen Soundtrack mit erfrischenden Songs geschaffen.
Niemeyers kurzweilige Inszenierung für Publikum ab fünf Jahren hält – bei strikter Einhaltung aller Abstandsregeln! – das Dschungelleben ständig in Bewegung, bis nach pausenlosen 70 Minuten der Abschied vom kindlich unbeschwerten Dasein in der Wildnis unvermeidlich wird. Begeisterter Beifall für das ganze spielfreudige Ensemble.