Nachruf K. O. Götz im Alter von 103 Jahren gestorben
Bonn · Der Pionier der informellen Malerei, K. O. Götz, ist im Alter von 103 Jahren gestorben. Er wollte die durch die Nazis verfemte Abstraktion, die von der internationalen Entwicklung abgekoppelte deutsche Kunst wieder diskussionsfähig machen.
Auf seinen nächsten Termin habe sich K. O. Götz schon gefreut, erzählt Walter Smerling, Duisburger Museumschef und Geschäftsführer des Bonner Stiftungsvereins für Kunst und Kultur dieser Zeitung: Am 17. September wollte Götz per Videobotschaft bei „Deutschland 8 – Deutsche Kunst in China“ dabei sein, bei der Schau von 50 herausragenden deutschen Künstlern in China, die Bundesaußenminister Sigmar Gabriel eröffnen wird. Es wird K. O. Götz' erste posthume Ausstellung: Am Samstag ist er, einer der ganz großen Maler der deutschen Nachkriegskunst, im Alter von 103 in seinem Haus im rheinland-pfälzischen Niederbreitbach-Wolfenacker gestorben. Drei Jahre nach dem beeindruckenden Comeback, als ihn, den Hundertjährigen, die Nationalgalerie Berlin, die Duisburger Küppersmühle, der Kunstpalast in Düsseldorf, das Suermondt-Ludwig Museum in Aachen und das Siebengebirgsmuseum Königswinter feierten und sein fulminantes Werk breit in Erinnerung riefen. Der Meister war damals schon hinfällig, fast gänzlich blind. Er malte aber noch mithilfe seiner Frau Rissa weiter.
Deutschland verliert einen seiner vitalsten Maler. Fotos aus den späten 50er Jahren zeigen K. O. Götz im Düsseldorfer Atelier auf dem Stuhl stehend, das wilde Malereigemetzel im Auge. Endkontrolle oder Zwischenbericht? Es ist noch Platz auf der Leinwand. Den breiten Pinsel hat er angriffslustig in der Rechten, das Hemd mit dem aufgekrempelten Ärmeln ist blütenweiß. Ein unmittelbar vor oder nach dem Moment der Kontemplation entstandenes Foto zeigt Götz in voller Aktion, wie er breitbeinig, gebeugt mit einem besenartigen Pinsel die Malfläche bearbeitet. Ein viriler Malerheld, der erste Wilde nach der Stunde Null, ein deutscher Pollock. Er wollte die durch die Nazis verfemte Abstraktion, die von der internationalen Entwicklung abgekoppelte deutsche Kunst wieder diskussionsfähig machen. Das gelang in dem atemberaubenden Tempo, mit dem K. O. Götz auch seine Bilder malte.
Tempo als Methode
Tempo als Methode: „Die Schnelligkeit war für mich ein notwendiges Mittel, um den Grad der bewussten Kontrolle auf ein Minimum herabzudrücken“, erinnert sich Götz, „durch die Schnelligkeit entstanden außerdem Formverläufe, Passagen und Texturen (Schlieren und Spritzer), die mir bei langsamer, kontrollierter Malerei nicht gelungen wären.“ Die rasante Entwicklung lässt sich schon in den frühen 50er Jahren erahnen: Am 7. September 1952 malt Götz sein „letztes Ölbild“, ein abstraktes Werk mit klaren Konturen und einer einigermaßen geordneten Räumlichkeit. Ab dann arbeitet er mit Gouache auf Kleister, kratzt in die nasse Farbe, zieht mit dem Rakel Bahnen, greift wieder ein. Explosive Formen entstehen, die Bewegung erscheint mitten im Fluss abgebrochen, wirkt, als könne sie jederzeit wieder aufgenommen werden.
Götz hat sie immer wieder aufgenommen, in einer unglaublichen Zeitspanne von sechs Jahrzehnten entstanden unzählige Werke, die trotz aller Wildheit einem Ziel unterworfen sind: „Es geht um die Auflösung des klassischen Formprinzips.“ Das gerät bei ihm gewissermaßen in die Zentrifuge: Fliehkräfte scheinen Farben und Formen über die Leinwand zu treiben. Mit seinen ersten informellen, betont gegenstandslosen, ungeometrischen, der Malgeste verpflichteten Bildern bewegt sich Götz auf Augenhöhe etwa mit dem amerikanischen Action Painting – ohne aber angemessen etwa in den USA rezipiert zu werden. Da teilt Götz das Schicksal etlicher Landsleute.
Eine sehr deutsche Biografie: Karl Otto Götz wird wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 geboren, kommt mit der Kunst der Moderne in Berührung, will Maler werden, unternimmt erste Schritte dahin. Unter den Nazis erhält er Mal- und Ausstellungsverbot. 1939 wird er zum Kriegsdienst eingezogen. Ein Großteil seines Frühwerks fällt den verheerenden Bombennächten in Dresden zum Opfer. Nach der Kapitulation entgeht er der Kriegsgefangenschaft.
International vernetzter Künstler
Götz, der bis 1950 bei Hannover lebt, verliert keine Zeit. Es gibt nach der düsteren Diktatur viel nachzuholen. Er nimmt Kontakt mit den wichtigen Gruppen abstrakter Kunst auf, CoBrA und Quadriga in erster Linie, „erfindet“ seinen informellen Stil. Götz ist international vernetzt, stellt 1958 auf der Biennale in Venedig aus, erhält ein Jahr später einen Ruf an die Düsseldorfer Kunstakademie, wo er einer der einflussreichsten Lehrer wird.
Er hat Joseph Beuys gefördert, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Gotthard Graubner waren seine Schüler. Die Teilnahme an der documenta II in Kassel (1959) markiert Götz' Durchbruch als informellen Maler. Wobei er damals „unterm Dach“ gezeigt wurde, während die Amerikaner um Pollock und Co. die guten Plätze belegten und als Offenbarung im kriegsgebeutelten Deutschland breit gefeiert wurden. Deutsche Museen wagten sich erst Mitte der 1960er Jahre an den wilden Götz heran. Seit den 70ern – da war der Siegeszug der Pop-Art und Konzeptkunst voll im Gange und die Abstraktion weitgehend abgehängt – kümmerten sich insbesondere Galerien um Götz & Co. Der Bonner Galerie Hennemann kommt da eine besondere Rolle zu: Nahezu jährlich erinnert sie seit 1975 an das Werk.