Konzert im Kammermusiksaal Kino für die Ohren
Bonn · Der Jazzpianist Enrico Pieranunzi blickt im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses auf 50 Jahre Karriere zurück.
Er habe amerikanische Straßenkreuzer geliebt, sei ein guter Fahrer gewesen – 1000 Kilometer und mehr. „Und er konnte gut Trompete spielen“, fügte Enrico Pieranunzi schmunzelnd hinzu. Und kassierte Lacher im ausverkauften Kammermusiksaal. Um wen es ging? Um den großen Trompeter und Sänger Chet Baker, der Ende der 70er nach Rom kam, dort den Jazzpianisten Pieranunzi kennenlernte. Das Album „Soft Journey“ (1980) ist eines der Ergebnisse dieser Freundschaft. Was beide nicht zusammen aufnahmen, war die wunderbare Hommage „From E to C“ von Enrico an Chet. Dieses melancholische, Bakers aufgeladenem Minimalismus verpflichtete Stück, dass zunächst so gar nicht zu Pieranunzis eher opulenter, weitschweifiger Art zu passen schien, spielte der Römer im umjubelten Zugabenteil. Nach einer tollen Interpretation von Bakers Hit „My Funnny Valentine“, in der das Thema fachmännisch versteckt und dekonstruiert wurde und in immer neuen Konstellationen gewendet wurde. Das Programm des Abends habe „Eigenkompostionen und Standards“ gelautet, sagte er, „Funny Valentine“ war der Standard. Der Rest waren Eigenkompositionen – in denen die Vergangenheit, der Zeitgeist, 50 Jahre Karriere mit 70 Alben und vielen vielen prominenten Musikpartnern mitschwangen.
Kultivierter Anschlag
Chick Corea und Charlie Haden schwirrten durch den Raum, der mexikanische Schlagzeuger Antonio Sánchez war in Gedanken dabei. Als Pieranunzi das für ihn geschriebene „Horizontes Finales“ spielte, bat er das Publikum, sich das Schlagzeug dazu vorzustellen. Es funktionierte. Geradezu atypisch kernig und sehr schnell griff der 72-Jährige in die Tasten und entfesselte ein Latino-Feuerwerk.
Der Abend der „Aspekte“-Reihe hatte beschaulicher angefangen, mit Pieranunzis kultiviertem Anschlag und Spiel, das romantisch rauschhaft schwelgt, perlend, flüssig den gesamten Tonumfang des Flügels nutzt, nie laut oder aggressiv wird, die Spannung durch Rhythmus- und Harmoniewechsel allmählich aufbaut und hält. Faszinierend, wie er mit seinen aus wenigen Tönen aufgebauten „Zellen“ (so nennt er das) komplexe Organismen entstehen lässt. Beethovens Fünfte kreise um eine Zelle aus nur vier Noten, belehrte er das Publikum. „Und verglichen mit Beethoven sind wir nichts.“
Ein Walzer für Fellini
Anhand von „Come Rose Dai Muri“ erklärte der Römer seine Zellentheorie. Lockerleicht führte er durch sein Oeuvre, das sich von dem zarten (und sehr anspruchsvollen) Wiegenlied „The Heart Of A Child“ bis hin zu sprühenden Latinorhythmen und zum hochemotionalen und spannenden „Fellini’s Waltz“ spannt. Kino für die Ohren, sozusagen, das Pieranunzi 2004 mit Charlie Haden, Kenny Wheeler, Chris Potter und Paul Motain im Album „Fellini Jazz“ veröffentlichte. Ein römischer Abend in Bonn. Wie schön.
Das Konzert wurde aufgenommen und wird am 22. November, 21.05 Uhr im Deutschlandfunk gesendet.