Der schreibende Franz Schubert Krimiautor Friedrich Ani gastiert in Bonn

Bonn · Hochspannung ohne hektische Action: Der Krimiautor Friedrich Ani gastiert am Donnerstag mit seinem neuen Roman „Ermordung des Glücks“ in der Redoute in Bad Godesberg.

Hat der kleine Lennard nicht eben noch im Strandkorb gesessen? Für die Mutter des ermordeten Jungen bricht die Welt auf immer zusammen.

Hat der kleine Lennard nicht eben noch im Strandkorb gesessen? Für die Mutter des ermordeten Jungen bricht die Welt auf immer zusammen.

Foto: picture-alliance / dpa

Eine Mutter erlebt das Schlimmstmögliche: Ihr Kind ist tot. Und auch noch ermordet worden, so wird es später dieser seltsame Polizist sagen, der gerade ins Café hineingetreten ist. Dabei sieht die Mutter ihren elfjährigen Lennard doch hier an diesem eiskalten Morgen noch leibhaftig im Strandkorb sitzen, in diesem blauweiß gestreiften Möbelstück, das sie als Blickfang extra in ihr „Café Strandhaus“ gestellt hat und vor dem sie jetzt kniet.

Von draußen gaffen die Passanten verstohlen durch die Scheiben, „Feiglinge, die keinen Finger rührten“, als Lennard, ihr Sohn, starb, schießt es der Mutter durch den Kopf. Die Zeit bleibt stehen. Und dieser ältere Kripomann mit dem leeren Blick hält es aus, wie die Mutter erst langsam wieder in die Welt um sie herum zurückkehrt, wie sie keucht wie ein Tier, wie sie scheinbar betet, wie sie nach Schuldigen sucht und immer wieder zurückgleitet in die glückliche Zeit vor dem Mord. Und dann fordert sie plötzlich: „Ich will ihn sehen“ – ihren Jungen, der 34 Tage verschwunden war und jetzt bei der Polizei aufgebahrt liegt.

Friedrich Ani, den die Kritik unter die weltbesten Krimi-Autoren reiht, hat wieder zugeschlagen, und zwar mit der Ermordung des Glücks. Im gleichnamigen neuesten Roman schickt er zum zweiten Mal seinen schon leicht abhalfterten Kommissar Jakob Franck ins Rennen um einen schmerzvollen Mordfall. Im Erstling der neuen Reihe, dem Buch „Der namenlose Tag“, war dieser pensionierte Melancholiker ebenfalls schon wegen eines Kindstods auf der Pirsch gewesen. Volker Schlöndorff hat das Buch aufwendig fürs Fernsehen verfilmt.

Und auch hier nimmt die Szene, wie sensibel der Pensionär die ungeliebte Aufgabe meistert, den Angehörigen die schlimme Nachricht zu überbringen, zentralen Raum ein. Dieser Jakob Franck habe „überhaupt nichts Ranschmeißerisches“ wie in den sonntäglichen ARD-„Tatort“-Episoden, „wo die Kommissare immer so mitfühlend sind“, hat Friedrich Ani selbst seine Figur beschrieben. Dieser alternde Mann in der Lederjacke wahrt Distanz, ohne gefühllos herüberzukommen. Er bleibt Mensch, ohne sich anzubiedern. Er lässt zu, wie der Schmerz die Angehörigen übermannt, ohne dass er zur Tagesordnung übergehen würde.

Die Tätersuche interessiert Ani nicht so sehr

Eigentlich werde in Krimis meist nicht erzählt, was nach tragischen Todesmeldungen daraus für die Betroffenen folgt, hat der Autor gesagt. Nach „Ich habe eine schlimme Nachricht für Sie“ geht es allzu oft schnurstracks nur auf Tätersuche. Die interessiert Friedrich Ani aber in seinen Büchern gar nicht so sehr. Wobei auch er schon „Tatort“-Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben hat, jedoch offenbar solche der etwas anderen Art. Denn auch während sein neuer Roman „Ermordung des Glücks“ nach der Mitteilungsszene Fahrt aufnimmt, verweilt der Autor immer wieder bei seinen Protagonisten, lässt sie monologisieren, ihre jeweilige Perspektive erarbeiten, mit Rückblenden in der Vergangenheit schürfen, abwägen, zweifeln, ja verzweifeln am brutalen Ende dieses hoffnungsvollen jungen Lebens.

Auch Anis einsamer Ex-Kommissar kreist letztlich nicht nur um den Fall, sondern auch um die ungelösten Fragen seines eigenen Lebens, ja auch seiner früheren Fälle, während er da immer wieder die Zeugenaussagen mit den Polizeiprotokollen vergleicht und sich stundenlang am Tatort einzudenken versucht in das, was mit dem Elfjährigen geschehen sein mag. Sexueller Missbrauch, der derzeit in mindestens jedem dritten Fernsehkrimi mit im Spiel ist, war offenbar nicht das Motiv dieser Gewalttat, erfährt der erleichterte Leser.

Und er lernt die Verwandtschaft des Jungen nach und nach kennen, die sich Vorwürfe macht, den Elfjährigen an besagtem Abend nicht mit dem Auto vom Fußball abgeholt zu haben. Lennards Mutter ist längst „aus der Welt gekippt“, wie Ani es treffend beschreibt. Aber auch andere taumeln am Abgrund. Sogar Jakob Francks Nachfolger, der den Fall doch eigentlich lösen müsste, verbarrikadiert sich ob des langen Versagens der Polizei lieber auf der Toilette – „damit niemand sieht, wenn ich anfang' zu heulen.“

Kunstvolles Geflecht über 317 Seiten

Anis Figuren bleiben in ihrem Schmerz allein. Sie scheinen verloren angesichts von Gewalt und seelischen Abgründen, die sich plötzlich in ihrem eigentlich so banalen Leben auftun. Das Geflecht dieser Ahnungen und Irrungen, der Schuldzuweisungen und schrillen Verzweiflung wird 317 spannende Seiten lang kunstvoll geknüpft. Wobei natürlich Spannung bei Ani nicht mit Action gleichzusetzen ist. In den Innenwelten seiner Figuren rumort es. Und der Autor traut sich, genau dieses Seelenleben von Tätern und Betroffenen, ja auch von Ermittlern und Beobachtern in den Fokus zu stellen.

Friedrich Ani wurde unter anderem mit dem Deutschen Krimi-Preis und dem Crime-Cologne-Sonderpreis 2017 ausgezeichnet. Man hat ihn schon „den schreibenden Franz Schubert“ genannt. Auch diesen seinen neuesten Roman hat dieser „Einsamkeitsforscher“ wieder brillant komponiert. Ein Krimi im eigentlichen Sinne ist „die „Ermordung des Glücks“ also nicht wirklich geworden. Sondern eher, wie der Verlag titelt, „ein Roman“ – ein Stück richtig guter Literatur.

Friedrich Ani:Ermordung des Glücks. Suhrkamp, 317 S., 20 Euro – Termin Am kommenden Donnerstag, 22. Februar, spricht Friedrich Ani ab 19.30 Uhr in der Redoute, Kurfürstenallee 1, mit seinem Kollegen Gisbert Haefs über den Roman. Karten in der Parkbuchhandlung, Koblenzer Straße 57, oder unter Tel. 0228/352191

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