Neue Fotografie im Kunstmuseum Kunst trifft künstliche Intelligenz

Bonn · Das Kunstmuseum Bonn präsentiert heute die Fotografie von morgen und schafft eine Punktlandung in der aktuellen Debatte über künstliche Intelligenz.

Oliver Larics „Hunter and Dog“ ist der 3D-Scan einer Skulptur von John Gibson. Laric stellt die Scans auf seiner Website kostenlos zur Verfügung.

Oliver Larics „Hunter and Dog“ ist der 3D-Scan einer Skulptur von John Gibson. Laric stellt die Scans auf seiner Website kostenlos zur Verfügung.

Foto: Benjamin Westhoff

Was war man fasziniert, als im Science-Fiction-Klassiker „The Matrix“ Raum- und Körpergrenzen verschwammen, der Hacker Neo erkennen musste, dass die ihn umgebenden Wände aus einer gallertartigen Masse waren, sein Arm sich in ein quecksilbriges Fluidum verwandelte? Sicheres Indiz dafür, dass das Individuum eigentlich nur ein Datensatz in einem großen Computerprogramm ist. Das war Hollywood 1999. Heute greift eine real anmutende Hand durch ein materiell stark verändertes Smartphone hindurch, das wabbelig und biegsam erscheint: Das Werk, das in der aktuellen Ausstellung des Kunstmuseums Bonn zu sehen ist, heißt „Manipulation“, der kanadische Künstler Baron Lanteigne arbeitet darin unter anderem mit Motion-Caption-Daten, die aus dem Bewegungsmuster lebendiger Menschen gewonnen und dann ins Digitale übertragen wurden. In „The Matrix“ hatte diese Technik übrigens Premiere.

Die im digitalen Raum erzeugte Illusion der Welt wird immer perfekter. Jeder kann sich mit einem der zahllosen verfügbaren Werkzeuge seine private Welt vom Rechner bauen lassen. Künstler haben die „fotografiebasierten Tools“ von Fotogrammetrie über 3D-Scanning und -Druck bis Augmented Reality für sich entdeckt. Sie freuen sich aber nicht über die Perfektion der Illusion, sondern über die Fehler, die Google Earths Satelliten oder 3 D-Programme bei der Aufnahme machen: Der „Glitch“ ist eine Störung im digitalen System, die auch durch Manipulation entstehen kann.

Die Suche nach dem Fehler im System

Jeder „Glitch“ beweist die Schwäche des Systems und ruft die anarchische Kreativität des Künstlers auf den Plan. Achim Mohné etwa lässt bei seinem filmischen 3 D-Modell des Bonner Museumsplatzes Systemfehler wie bildhauerische Kreationen aussehen. Bei Anna Ridler erhält das poetische Spiel ihrer sich korrespondierend zu den Kursschwankungen der Bitcoin-Börse öffnenden und schließenden Tulpen durch „Glitches“ eine geradezu malerische Note. Auch Victoria Pidust inszeniert in ihrer großräumigen Wandarbeit den digitalen Schnitzer als ästhetisches Moment. Sie selbst hat das Programm mit Fehlinformationen gefüttert. Jon Rafman schließlich arbeitet auf seiner Instagram-Seite @ronjafman mit einem Algorithmus, bei dem Texteingaben digitale Bilderdatenbanken durchforsten. Fiese manipulierte Monster entstehen dort, Mutationen aus Datenmüll. Der digitale Fehler wird zur Methode.

Wie lange geht das noch, wie lange bleibt der Künstler, die Künstlerin Herr oder Herrin des Verfahrens? Die künstliche Intelligenz (KI) wird immer besser. Noch lachen die Künstler. Die von Barbara J. Scheuermann, Kunstmuseum, und Michael Reisch, Professor für Fotografie an der Alanus Hochschule, kuratierte Ausstellung „Expect the Unexpected. Aktuelle Konzepte für Fotografie“ bietet 19 internationalen Künstlern eine Bühne. Technisch virtuos präsentieren sie fast durchgängig spannende, diskussionswürdige Beiträge, die ihre Inhalte großteils aus dem Internet beziehen. Dass dies weitgehend ohne Kritik oder politischen Kommentar zur Datenkrake Google oder zur Konditionierungs- und Überwachungsmaschinerie der Herren Musk, Zuckerberg und Bezos sowie des Konzerns Alphabet geschieht, passt in die bunte, affirmative Welt von Instagram, Facebook & Co.

Breite Debatte

Die Ausstellung ist eine Punktlandung in der aktuellen Debatte, die auch das gerade viel diskutierte, auf KI basierende Textprogramm ChatGPT ventiliert. Passend dazu wurde der Einleitungstext zum Katalog von dem Programm geschrieben. Beängstigend perfekte Katalogprosa.

Die Ausstellung selbst steckt voller faszinierender Entdeckungen, Susan Morris hat etwa ein Bewegungsprotokoll ihrer Arbeit im Atelier aufgezeichnet: eine Wolke von Lichtpunkten, die dokumentiert, wie Morris nah rangeht oder den Abstand sucht, während sie eine großformatige Zeichnung macht. Die virtuelle, auf einer Performance basierende Skulptur von Banz & Bowinkel, die den Außenraum zwischen Museum und Verwaltungstrakt füllt, ist Poesie pur.

Es gibt auch Gespenstisches: Den Molekularbiologen James Watson, wegen seiner rassistischen, sexistischen und homophoben Äußerungen höchst umstrittener Nobelpreisträger, der als erster Mensch sein Genom veröffentlichte, hat sich Heather Dewey-Hagborg vorgenommen. Aus dessen genetischer Information ließ sie verschiedene 3D-Büsten drucken, die im Holo-Video geisterhaft flackern. Ein Spiel mit der dritten Dimension auch bei Michael Reisch, der eine Skulptur im Computer entwickelte, sie dann mit dem 3D-Drucker materialisierte und dann fotografierte. Strenggenommen ein Foto von einem Ding, das es eigentlich gar nicht gibt. Für die Ende März startende Videonale bietet diese quirlige Daten-Schau die ideale Vorlage.

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