Premiere in der Oper Kuriose Details im Klassiker "Carmen"

Bonn · Carlos Wagners Inszenierung von George Bizets Klassiker „Carmen“ an der Bonner Oper bleibt szenisch ohne Spannung. Pluspunkte für die musikalische Ausführung.

 Femme fatale: Die Finnin Niina Keitel bringt für die Carmen viel vokale Verve mit.

Femme fatale: Die Finnin Niina Keitel bringt für die Carmen viel vokale Verve mit.

Foto: Beu

Von dem Spielplan der Oper Bonn könnten sich andere Häuser eine Scheibe abschneiden. Nicht weniger als vier Raritäten gibt es in dieser Saison, dazu die Uraufführung einer Familienoper. Dass daneben mit populären Werken das Publikum „bei der Stange“ gehalten wird, ist nicht nur legitim, sondern im Sinne einer positiven Besucherstatistik sogar geboten. Selbst die heftig gefeierte Auftakt-Inszenierung (Othmar Schoecks „Penthesilea“) ist kein wirklicher „Renner“, jedoch immer gut besucht. Bizets „Carmen“ gehört hingegen zu den Hits der Opernliteratur.

Was ist so faszinierend an der von Prosper Mérimée in seiner Novelle „erfundenen“ Carmen? Vor allem wohl der absolute Freiheitsanspruch der Zigeunerin, wie ihn vermutlich jeder in sich spürt und doch nicht oder nur bedingt auslebt. Für Carmen gelten keine Grenzen, auch in Sachen Liebe ist sie ein radikal vereinnahmender „oiseau rebelle“ („wilder Vogel“).

Ob Carmen jenseits von erotischer Momentbefriedigung zur Liebe fähig ist, ist fraglich. In jedem Falle hat sie einen scharfen Blick auf Männer, wobei der Stierkämpfer Escamillo mit seiner unverhüllten, protzigen Maskulinität wohl am besten zu ihr passt. Aber auch der weichere Charakter des Soldaten José spricht sie an, doch das kurze Verhältnis endet in einem Mord des von Eifersucht zerfressenen Ser-geanten. Welche psychologischen Verläufe gäbe es hier zu erkunden und darzustellen. Regisseur Carlos Wagner hat es nicht vermocht.

Seine Inszenierung ist schon etwas älteren Datums, kam zuerst an der Deutschen Oper am Rhein heraus, von wo aus Bonn sie unter vermutlich günstigen Konditionen übernahm. Aber bitte: Hat man diese fatale Produktion (in der Bonner Premiere von einigen Zuschauern zurückhaltend, dennoch unverkennbar ausgebuht) vor dem Einkauf nicht in Augenschein genommen? Die Konsequenz hätte nur ein Verzicht sein können.

Ästhetik der antiken Tragödie

Die fragwürdigen Details der Arbeit von Carlos Wagner, welche sich in ihrer Ästhetik auf die antike Tragödie und Gemälde Francisco Goyas (Pinturas negras/Schwarze Bilder) beruft, könnte man kritisch auflisten, aber das würde einen veritablen Mérimée-Roman ergeben. So sei ein lediglich pauschales Urteil über die Bonner „Carmen“ gestattet: beliebig, spannungslos und szenisch ganz einfach unglücklich. Die schwarzdunkle Einheitsarchitektur von Rifail Ajdarpasic wirkt konzeptionell durchaus triftig. Sie bestätigt die inszenatorischen Ankündigungen im Programmheft, welche auf der Bühne indes kaum verifiziert werden bzw. blutleer bleiben. Patrick Dutertres Kostüme gehen in Ordnung.

Einen (berechtigten) Lacher gab es bei der Finalszene, wo José mit einem ausgehöhlten Stierkopf Carmen aufspießt, nachdem er als blutiger Schächter diesen mitsamt dem Kopf eines Stierkadavers auf einer Karre hereinfuhr. Es wird viel symbolisch mit Gewändern gewedelt, der Chor (exzellent einstudiert von Marco Medved) tritt meist „konzertant“ auf und steht dann herum. Weiterhin gibt es kuriose Choreografien, etwa beim Karten-Terzett oder der Warnung von Frasquita und Mercédès im Schlussbild. Wenigstens sorgt Jacques Lacombe am Pult des Beethoven Orchesters für angemessene „Carmen“-Farben; federnde Leichtigkeit hier, dramatische Nachdrücklichkeit dort.

Bei den Sängern erhält Sumi Hwangs passioniert gesungene Micaela überschäumenden Beifall nach ihrer Arie (samt Guiraud-Rezitativ), an deren Ende sie malerisch zu Boden gestreckt liegt. Die Finnin Niina Keitel bringt für die Carmen viel vokale Verve mit, ohne die von Stolz durchglühte Figur ganz auszuloten. Beim Don José des Chilenen Felipe Rojas Velozo ist darstellerisches Engagement ein großes Plus.

Mit seiner reichlich engen, gepressten Stimme freundet man sich hingegen nur schwer an, wie auch das Escamillo-Porträt von Ivan Krutikov einigermaßen mühsam wirkt. Qualitativ unterschiedlich sind die restlichen Partien besetzt: David Fischer (Remendado), Di Yang (Dancairo), Leonard Bernad (Zuniga), Fabio Lesuisse (Moralès), Rosemarie Weissgerber (Frasquita) und Kathrin Leidig (Mercédès).

Weitere Vorstellungen: 11., 17., 24. November, 10., 13., 20. und 25. Dezember

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