Ausstellung im Arp Museum Leben ohne Leitplanken

Bonn · Die Berliner Künstlerin Bettina Pousttchi eröffnet mit „Fluidity“ das neue Ausstellungsjahr im Arp Museum Bahnhof Rolandseck

 Leitplanken in Aktion erinnern an die „Transformers“: Installation von Bettina Pousttchi im Arp Museum.

Leitplanken in Aktion erinnern an die „Transformers“: Installation von Bettina Pousttchi im Arp Museum.

Foto: Benjamin Westhoff

Da weht ein Hauch von Anarchie durch Rolandseck. Da sind Leitplanken, die den Dienst verweigern, niemanden leiten oder vor dem Absturz schützen, sondern leicht zerknautscht und grellrot angesprüht ein frivoles Tänzchen wagen. Da sind ferner Hinweispfeile, die eher verwirren als für Orientierung sorgen, und man will sich gar nicht vorstellen, was diese in alle Himmelsrichtungen, kreuz und quer weisende Zeichen im Straßenverkehr anrichten würden.

Da sind außerdem Baumschutzbügel, die keine Bäume vor parkenden Autos retten, sondern bizarr verknäult ein Eigenleben führen. Und es gibt Absperrgitter, die keine Demonstranten auf Distanz halten, sondern eingerollt und übereinandergestapelt einen Turm bilden, der an Wladimir Tatlins schräges, revolutionsgeschwängertes „Monument für die Dritte Internationale“ erinnert. Vielleicht könnte man auch an Marcel Duchamps „Flaschentrockner“ denken, Inbegriff des „Ready Made“, des als Kunst deklarierten Fundstücks. Oder geht das Werk – dritte Assoziation – wegen der Neonröhre, die wie eine Wirbelsäule Halt gibt, als Hommage an den Neonkünstler Dan Flavin durch?

Künstlerisches Potenzial aus alltäglichem Regulierungswahn

Es geht jedenfalls um Kunst und um eine Künstlerin, Bettina Pousttchi, die viel im öffentlichen Raum unterwegs ist, dort die Möbilierung des Straßenbilds durch Leitplanken, Hinweispfeile, Baumschützer, Absperrgitter und Straßenpfeiler bemerkte und das künstlerische Potenzial dieser Hilfsmittel für den alltäglichen Regulierungswahn auszuloten versucht. Dieses Potenzial kann durchaus begrenzt ausfallen, wie Pousttchis Ausstellung „Fluidity“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck teilweise zeigt. Denn so originell es auch ist, tonnenschwere Leitplanken wie Papier zu biegen, falten, zusammenzuschweißen und farbig anzumalen, so reizarm ist es, diese Technik noch zweimal zu wiederholen und lediglich die Farbe zu variieren.

Wobei die zentrale Arbeit, die rote Leitplanken-Assemblage „Vertical Highway A 20“, in diesem Jahr entstanden, gerade in der starken Architektur von Richard Meier eine unheimliche Präsenz entfaltet. Es lohnt sich unbedingt, die große „schreitende“ oder „tanzende“ Figur zu umrunden, um immer wieder neue Perspektiven zu erhaschen.

„Pauline“ und „Käthe“ in der großen Halle

Die angesprochene gewisse Re­dundanz stellt sich dann bei den insgesamt neun Baumschützern ein, die aus zwei bis vier, mehr oder weniger verbogenen und in zwei Grüntönen bemalten Elementen bestehen. Sie bevölkern als nutzlose Baumschutzarmada die große Halle, heißen „Berthold“ und „Pauline“, „Agnes“, „Käthe“ oder „Bastian“ – nach Berliner Straßennamen. 

Im grafischen Kabinett trifft Pousttchis wunderbarer Turm, „Double Monument for Flavin and Tatlin IV“ (2020) auf eine Serie, die 2016 entstand: Aneinandergefügte Platten aus perforiertem und glasiertem Ton erinnern an alte Fachwerkmuster, die die Künstlerin in Frankfurt fand.

Mit dem Auto im Museum

Es sind solche stadtarchäologischen Aspekte, die hier faszinieren. Wie bei dem Nasher Sculpture Center in Dallas, ein Bau von Renzo Piano, den die deutsch-iranische Künstlerin 2014 in ein Drive-Thru-Museum verwandelte. Warum? Piano hatte den Bau über einem ehemaligen Parkplatz errichtet. Das inspirierte Pousttchi: Mit Straßenpfeilen und Markierungen führte sie fiktiv die motorisierten Besucher durch einen Parcours erlesener Skulptur von Hans Arp und Richard Chamberlain bis Brancusi und Henri Matisse. Eine grandiose Schwarz-Weiß-Fotoedition erinnert an das Projekt in Dallas. 

Auch ein Stück Stadtarchäologie von Pousttchi wird man im Sommer 2022 erleben, wenn sie auf dem Dach der Bundeskunsthalle in Bonn ihre 40-Meter-Installation „The Curve“ aufbaut, eine Steilkurve und Anspielung auf die legendäre Teststrecke auf dem Dach des 1923 eröffneten Fiat-Werks im Turiner Stadtteil Lingotto. Zwei Jahre lang soll „The Curve“ für schräge Momente sorgen.

Zuwachs am Skulpturenufer Remagen

In Remagen schreibt sich Pousstchi, die 1971 in Mainz geboren wurde, an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, zehn Jahre in Köln lebte und dann nach Berlin zog, auch in das „Skulpturenufer Remagen“ ein: Ihre „Marianne“ genannte Arbeit aus Straßenpfosten ist die Nummer 14 des 14 Kilometer langen Skulpturenprojekts.

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