Buchtipp Liebesroman "Lichter als der Tag"
Bonn · Mirko Bonnés Liebesroman „Lichter als der Tag“: Es gibt unendliche Sommer unter Obstbäumen, irgendwann aber auch leichtsinnigen Sex und Missverständnisse
„Es wird nichts mehr jemals wieder gut.“ Vielleicht ist es diese Gewissheit, die Raimund Merz lähmt. Als Angestellter in der Nachrichtenredaktion einer Hamburger Zeitung treibt er ehrgeizlos durch den Alltagstrott – allenfalls getröstet von der Stimmung unter dem Stahl-Glas-Dach des Hauptbahnhofs. Dort erinnert ihn das Licht an speziellen Tagen an seine Kindheit und an ein Gemälde des französischen Impressionisten-Vorläufers Camille Corot.
Vielleicht wäre Merz ja in der „einzementierten Schieflage der späten mittleren Jahre“ gefangen geblieben, wenn er nicht ausgerechnet im Bahnhof seine Jugendliebe Inger wiedergesehen hätte. Plötzlich ist in Mirko Bonnés Roman „Lichter als der Tag“ alles wieder da: Der Tag, als das dänische Waisenmädchen ins Dorf kam, in das sich der halbwüchsige Raimund und sein Freund Moritz verliebten. Wobei Moritz ja eigentlich Floriane begehrte. Es gibt unendliche Sommer unter verwachsenen Obstbäumen, irgendwann aber auch leichtsinnigen Sex und Missverständnisse.
Plötzlich sind die Weichen in diesem Quartett falsch gestellt: Flori und Raimund heiraten schließlich ebenso wie Inger und Moritz. „Wenn er mit Flori schlief, dachte er an Inger. Dann stellte er sich vor, wie sie mit Moritz schlief.“ Raimunds bittere Sätze erfassen das Drama eines doppelt verfehlten Lebens. Denn auch Inger erkennt schließlich, dass sie den falschen der Freunde gewählt hat. So bekommt jeder hier nur einen Trostpreis, ein vergiftetes Surrogat der verlorenen Liebe.
Drehen an der Spannungsschraube
Bonné, 1965 in Tegernsee geboren und nun an der Elbe zu Hause, enthüllt die Tragik und die Geheimnisse dieser Wahlverwandtschaften erst nach und nach. Gleichzeitig zieht er die Spannungsschraube unablässig an. Denn sobald Flori, als Kieferchirurgin deutlich erfolgreicher als ihr Mann, von Raimunds Zufallsbegegnung mit Inger erfährt, treibt sie ihn mit ihrer Eifersucht und finanziellen Übermacht vor sich her.
Zunächst scheint alles nur bergab zu gehen. Raimunds gefällig retuschierter Lebenslauf fällt in der Zeitung auf, und allein sein Kollege Bruno DeWitt, ein begnadeter Casanova, kann den Freund einstweilen vor bitteren Konsequenzen schützen. Diese kritische Männerfreundschaft zählt zu den Glanzstücken des Romans, der manchmal ein bisschen zu kunstsinnig und gebildet daherkommt. Hier zitiert selbst der Jugend-Flashmob noch Andreas Gryphius.
Doch dieser unaufdringlich versierte Autor („Nie mehr Nacht“) verwandelt mit seiner ebenso poetischen wie psychologischen Prosa alle negative Energie seines Helden schließlich in eine verzweifelte Aufbruchseuphorie.
Mit seiner friedlich „entführten“ Problemtochter Linda bricht Raimund Merz nach Lyon auf, denn dort, im Musée des Beaux-Arts, hängt „sein“ Corot. Und vielleicht kann das magische Licht über dem „Weizenfeld im Morvan“ ja ein Wunder bewirken... Denn in der flirrenden Schwerelosigkeit dieses fantastischen Finales scheint plötzlich alles möglich. Auch der späte Sprung aus den Schienen eines falschen Lebens.
Mirko Bonné: Lichter als der Tag. Roman, Schöffling & Co., 334 S, 22 Euro.