Wildes Leben, große Träume Biopic über Udo Lindeberg kommt neu ins Kino

Bonn · Hermine Huntgeburths liebevoller Film „Lindenberg! Mach dein Ding“ liefert ein Biopic über den jungen Udo Lindenberg.

 Udo Lindenberg gab seinen Segen: Jan Bülow testet  in einer Szene des Films „Lindenberg! Mach dein Ding!“ das Hamburger Nachtleben.

Udo Lindenberg gab seinen Segen: Jan Bülow testet  in einer Szene des Films „Lindenberg! Mach dein Ding!“ das Hamburger Nachtleben.

Foto: dpa/Gordon Timpen

Wir Lindenbergs werden Klempner, und sonst nichts“ sagt der Vater zum Sohn, während er am rostigen Abfluss herum schraubt. Der Junge hat Flausen im Kopf, spielt Schlagzeug, will als Kellner und womöglich sogar als Musiker in die weite Welt hinaus. Weit weg aus dem westfälischen Gronau der fünfziger Jahre. Udo heißt der ambitionierte Knabe, der mit 36 Studio-Alben und 4,4 Millionen verkauften Tonträgern zum wichtigsten deutschen Rockmusiker aufsteigen wird. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg, dessen erste mühsamen Jahre Hermine Huntgeburth nun in ihrem liebevollen Biopic „Lindenberg! Mach dein Ding“ vermisst.

Als der blutjunge Udo (Jan Bülow), der sich Anfang der Sechziger im roten Licht St. Paulis als Jazz-Schlagzeuger durchschlägt, verkündet, dass er Rockmusik mit deutschen Texten machen will, schauen ihn alle mitleidig an. Nur Schlager-Fuzzis singen auf Deutsch und die sind der Inbegriff des spießigen Wirtschaftswundermiefs, von dem man sich endlich befreien will. Mit seinem Kumpel und Bassisten Steffi Stephan (Max von der Groeben) haust Udo in einem kleinen Pensionszimmer auf dem Kiez, das mit unregelmäßigen Studio-Gigs bezahlt werden will. Auch wenn der Erfolg zunächst ausbleibt – das wilde Leben und die großen Träume, die aus ihm erwachsen, sind schon da: lange Nächte, verrauchte Kneipen, Alkohol ohne Ende, Huren mit Herz, Zuhälter mit Pelzmänteln, Wohngemeinschaften, in denen es drunter und drüber geht.

Vieles davon wird sich später in Lindenbergs Liedtexten wiederfinden. Aber zunächst geht es ans schnöde Geldverdienen. Die Mucke in der Stripbar reicht nicht für das täglich Brot und so nimmt der junge Lindenberg einen Job als Schlagzeuger in einer Band an, die in Libyen die dort stationierten US-Streitkräfte belustigen soll. Als der Inhaber des Lokals den Drummer nachts alleine am Mikrophon seinen eigenen Song singen hört, fordert er ihn am nächsten Abend auf, das auch vor dem Publikum zu tun. Aber natürlich können die volltrunkenen GIs mit dem melancholischen Schmelz des jungen Barden wenig anfangen. Die Flaschen fliegen, Udo flüchtet von der Bühne und landet schwer traumatisiert mit der Schnapsflasche in der libyschen Wüste.

Diese Bilder alkoholisierter Einsamkeit vor imposanter Naturkulisse stehen am Anfang von Huntgeburths Film. Denn die verstörende Erfahrung wird zunächst zur Blockade und später zum Antrieb von Lindenbergs Musikerkarriere. Als er sein erstes erfolgreiches Album „Andrea Doria“ 1974 mit dem Panikorchester in der vollbesetzten Hamburger Musikhalle vorstellen soll, lässt sich Udo vor Angst volllaufen. Sturztrunken fällt er die Treppe auf der Bühne hinunter. Aber am Boden liegend greift er nach dem Mikrofon und fängt an zu singen. Der Rest ist Legende. Huntgeburths „Lindenberg! Mach dein Ding“ macht seinem Imperativ-Titel alle Ehre. Denn der Film fokussiert sich auf die jugendliche Halsstarrigkeit, mit der der junge Lindenberg seinen Lebenstraum und die eigenen künstlerischen Vorstellungen vorangetrieben hat.

Das wird jedoch nicht als „Triumph des Willens“ verkauft, wie es in US-Formatvorlagen über den Weg zum Erfolg oft genug vorgeführt wird. Vielmehr zeigt der Film die stille Kraft, die im Mäandern liegt. Denn es sind oft die Abwege, die dem suchenden Udo die richtige Richtung weisen. Für einige Fans wird Jan Bülow als Lindenberg vielleicht eine Enttäuschung sein. Denn mit dem coolen Udo, der den Hut tief ins Gesicht gezogen hat und mit kultiviert nasaler Stimme zu seinem Konzertpublikum spricht, hat Bülows Performance wenig zu tun. Die Charisma-Differenz wird sehr deutlich, als der echte 73jährige Udo dem Film am Schluss mit einem hinreißenden Auftritt seinen Segen gibt.

Aber Bülows Auftrag ist es auch nicht, den Mythos Lindenberg auf die Leinwand zu bringen, sondern den jungen Musiker, der seinen Eigensinn, seine Coolness und sein Genie aus der eigenen Indifferenz heraus noch entfalten muss. Und diesen Prozess musikalischer Persönlichkeitsbildung bringt Bülow mit viel Einfühlungsvermögen und ohne falschen Imitationswillen überzeugend auf die Leinwand. Zu diesem Selbstfindungsprozess gehört auch eine Zeit, die solche Freiräume zulässt. Und Huntgeburth inszeniert die 1970er mit liebevollem Zeitkolorit nicht als verklärtes Hippie-Paradies, sondern als eine Ära, die mit ihrer politischen, kulturellen und sexuellen Aufbruchstimmung viele Abwege angeboten hat – bis man irgendwann bereit war, sein eigenes „Ding“ zu machen.

Kinopolis , Rex

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