Geisterstunde für den Künstler Neuer Roman von Haruki Murakami begeistert

Bonn · Teil eins von Haruki Murakamis Buch „Die Ermordung des Commendatore“ kommt in die Buchläden. Der Autor erweist sich wieder als Meister der Romankomposition.

 Meisterhaft: Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami im Juni 2011 in Barcelona. FOTO: DPA

Meisterhaft: Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami im Juni 2011 in Barcelona. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Jordi Bedmar

Wie ein Nebelschleier liegt das Mysterium über dem Haus in den Odawara-Bergen. Dorthin zieht sich der namenlose 36-jährige Ich-Erzähler in Haruki Murakamis neuem Roman aus seiner gescheiterten Ehe mit Yuzu und der Krise als Porträtmaler zurück. Hier hatte vorher ein berühmte Kollege gelebt, der Maler Tomohiko Amada, der zunächst im europäischen Stil gearbeitet hatte, dann aber 1938 schlagartig Wien verließ, um als japanischer Traditionalist berühmt zu werden.

Diese Wende ist das erste Rätsel, dem viele folgen werden. Der langjährige Nobelpreis-Aspirant aus Kyoto lässt sich Zeit mit seiner auf zwei Bücher verteilten Geschichte, die ihren Sog gelassen, aber unentrinnbar entfaltet. Zunächst glückt dem Mieter in der neuen Umgebung nichts, er hört Opernaufnahmen und vergnügt sich mit einer freizügigen Freundin. Doch dann findet er im sonst bilderlosen Haus ein ungeheuerliches Gemälde: „Die Ermordung des Commendatore“, das dem Roman den Titel gibt. Eine blutige Szene, die ihn sofort an Mozarts „Don Giovanni“ erinnert. Doch wenn hier Don Juan den älteren Commendatore ersticht, gibt es einen seltsamen Augenzeugen.

Meisterhaft zeigt Murakami, wie dieses unglaublich lebendige Bild von seinem Helden Besitz ergreift, wie er zur Geisel wird, die nun selbst wieder malen muss. Und zwar das Porträt seines Nachbarn Menshiki. „Er hatte ein Geheimnis, das er in eine Schachtel gepackt und tief in der Erde vergraben hatte.“ Doch dieser obskure Mensch inspiriert den Porträtisten zu einem ungestüm-spontanen Werk jenseits aller Arbeiten, die er zuvor geschaffen hat.

Komplexes Konstrukt des Romans

Die beiden Gemälde wirken wie Katalysatoren, die für heftige Strudel im zuvor so ruhigen Fluss der Prosa sorgen. Es geht hier um das gesprengte Korsett der Konvention – „als wären die Pinsel, ganz und gar dem Willen des Meisters gehorchend, auf die Leinwand gesprungen, um übermutig darauf zu tanzen“. Und dabei schafft die entfesselte Kunst eine Welt mit eigener Schwerkraft und Traumlogik.

Bald geschehen unheimliche Dinge. Eine Figur des „Commendatore“-Gemäldes steigt aus dem Rahmen, um in der Wirklichkeit herumzuspuken. Und immer zur selben Nachtstunde hört der Protagonist ein seltsames Läuten, das von einem nahen Schrein herüberweht. So zieht uns Murakami in den Bann seiner Geistergeschichte, indem er das Gespenstische äußerst lapidar in den Alltag einsickern lässt.

Der 1949 geborene Autor („Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“) schiebt immer neue Glasscheiben in sein Spiegelkabinett: Menshiki glaubt eine Tochter zu haben, die jetzt genau so alt ist, wie es die geliebte Schwester des Porträtisten bei ihrem Tod war. Und das „Commendatore“-Gemälde scheint nicht nur ein Reflex auf Mozart, sondern auch auf Gewalttaten im Naziregime nach dem „Anschluss“ Österreichs zu sein.

Ungebüßte Schuld, rastlose Untote – irgendetwas drängt aus der Vergangenheit düster in die Gegenwart. Schon jetzt wirkt dieser Roman wie ein hochkomplexes Kaleidoskop, das je nach Betrachtungswinkel ein anderes Bild ins Hirn des Lesers wirft.

Könnte der geheimnisumwitterte Menshiki womöglich das andere Ich des namenlosen Helden sein? Sind die geschilderten Begebenheiten vielleicht Halluzinationen einer gequälten Seele? „Eine Idee erscheint“ lautet der Untertitel dieses ersten Bandes, während es beim folgenden heißt: „Eine Metapher wandelt sich“. Man sollte sich also noch auf einiges gefasst machen, in diesem mehr als doppelbödigen und magisch irrlichternden Künstlerroman. Und so schwer es auch fällt: Vor dem (möglichen) Lüften aller Schleier muss eine lange Geduldsprobe bis zum 16. April bestanden werden.

Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore I – Eine Idee erscheint. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag, 477 S., 26 Euro.

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