Beethovenfest-Chefin im Interview Nike Wagner: Ich möchte mich entschuldigen

Bonn · Beethovenfest-Chefin Nike Wagner bedauert "pauschale Äußerungen“ über das Bonner Konzertpublikum. Die Intendantin steht nach ihren Aussagen in der Kritik.

 Nike Wagner. Foto: Benjamin Westhoff

Nike Wagner. Foto: Benjamin Westhoff

Foto: Benjamin Westhoff

Das Bonner Beethovenfest ist in einer schwierigen Lage, nachdem Intendantin Nike Wagner in einem Interview gegen das Konzertpublikum polemisiert hat. Den Bonnern fehlten Aufgeschlossenheit, Neugier und eine Öffnung nach vorn. Im 21. Jahrhundert seien sie jedenfalls noch nicht angekommen. Mit Nike Wagner sprachen Dietmar Kanthak und Helge Matthiesen.

Frau Wagner, die Beziehung zwischen Ihnen und dem Bonner Konzertpublikum ist gestört. Was hat Ihre Spielart von Publikumskritik, manche sagen Publikumsbeschimpfung, ausgelöst?

Nike Wagner: Dieses Interview möge dazu dienen, eine Störung der Beziehung zu vermeiden. Keineswegs war das Bonner Publikum allgemein mit meiner sogenannten Beschimpfung gemeint. Es besteht ja aus Menschen, die an klassischer Musik interessiert sind und mitunter auch offen für Neues. Zu Unrecht habe ich es mit meinen pauschalen Äußerungen in einen Topf geworfen mit einer ganz bestimmten Gruppe in Bonn. Das tut mir leid, und ich danke dem General-Anzeiger, dass er mir Gelegenheit gibt, mich bei diesem Publikum zu entschuldigen. Im Übrigen, ein Publikum sollte man grundsätzlich nicht bewerten. Dies sagte mein Freund Markus Hinterhäuser, der Chef der Salzburger Festspiele. Ich bedaure, dass ich diesen klugen Satz nicht beherzigt habe.

Wen haben Sie denn mit Ihren Vokabeln altmodisch, romantisch und kuschelig im Blick gehabt?

Wagner: Ich habe einen ganz bestimmten Verein im Blick gehabt. Wir müssen Namen nennen, der Verein heißt „Bürger für Beethoven“. Das ist ein Verein, der unendliche Verdienste hat. In den 1990er Jahren ist ihm das Fortbestehen des Beethovenfestes zu verdanken. Aber dieser Verein hat mir das Leben als Intendantin in Bonn sehr schwer gemacht.

Würden Sie für uns Ihre Geschichte mit den Bürgern für Beethoven rekapitulieren?

Wagner: Da darf ich kurz zurückblenden, denn alles hat seine Geschichte, seine Farbe, seinen Hintergrund. Kurioserweise bezichtigte mich der Vorsitzende dieses Vereins ...

... Stephan Eisel ...

Wagner: ... erst kürzlich wieder, dass ich schuld sei am Nicht-Zustandekommen des neuen Festspielhauses. Ich habe das abgewehrt und gesagt: Hören Sie, ich bin fünf vor zwölf überhaupt erst nach Bonn hereingekommen. Zu dieser Zeit gab es nur noch einen einzigen Hauptsponsor, und der hat sich zurückgezogen. Sie überschätzen mich, wenn Sie glauben, dass ich Einfluss auf den Stadtrat gehabt hätte. Außerdem hatte ich nur ökonomisch-betriebliche Skepsis angemeldet: zwei Riesenhäuser im mittelgroßen Bonn, wo schon die alte Beethovenhalle nicht ausgelastet war– wie sollte das gehen? Dann kam der Vorwurf gegen mein Programm: Nicht genug Beethoven! Ich habe diesen Vorwurf entkräftet. Der Irrtum ist wohl zustande gekommen, weil es zu meinem ästhetischen Konzept gehört, Beethoven in einen Kontext zu setzen. Beethoven allein, eine Beethoven-Monokultur halte ich für fantasielos.

Wie setzte sich der Konflikt danach fort?

Wagner: Der nächste Vorwurf war, dass ich das Beethovenfest nicht in der Stadtgesellschaft. verankere. Wie bitte? Ich mache der Stadtgesellschaft doch ein umfassendes Angebot! Schaut her, wir haben einen Beethoven in verschiedenen Klangbildern und Interpretationen und thematisch geschärft. Und wir bringen ein ganzes Spektrum von Veranstaltungen: Da sind barocke, klassische und moderne Stücke dabei, da sind experimentelle Projekte und eine breite Palette für Kinder und Jugendliche.

Was haben Sie unternommen?

Wagner: Ich habe immer wieder versucht, mich dem Verein zu erklären, unser schwieriges Verhältnis zu kitten. Eine Weile schien es ruhig. Aber nun kommt's: Der Verein wusste von einer möglichen bevorstehenden Verlängerung meines Vertrages. Daraufhin hat der Vorsitzende des Vereins den Vorstand zusammengerufen und sie haben abgestimmt: einmütig alle dagegen. Mit diesem Votum ist der Vorsitzende zur hohen Politik gegangen und hat gedroht, die „Bürger“ würden Rabatz machen, wenn Frau Wagner verlängert wird. Diese Einmischung in Entscheidungsprozesse, die bei ganz anderen Organen liegen – bei unseren Gesellschaftern, bei unserem Aufsichtsrat und dem die Stadtgesellschaft repräsentierenden Kulturausschuss –, dieses Unter-Druck-Setzen unseres Stadtoberhaupts, das hat mich verletzt, emotionalisiert, da bin ich ausgerastet.

Was wünschen Sie sich für ein gedeihliches Miteinander von Ihrem Publikum? Wie sollte es auf Beethoven zugehen? Sie werden ja noch drei Programme vertreten.

Wagner: Zwei mit Übergang ins Jahr 2021. Ich wurde gerufen, um gewisse Neuerungen einzuführen, eine gewisse Öffnung nach vorne, eine gewisse Öffnung für Beethoven in unsere Gegenwart. Diesem politischen Auftrag bin ich nachgekommen. Es gibt die großen, berühmten Klangkörper, es gibt sehr viel Kammermusik, dann gibt es aber auch Tanz, Performance, Theater, die eher experimentelle Schiene. Mich freut es zum Beispiel immer, wenn zeitgenössische Komponisten Beethoven „übermalen“ und damit zeigen, dass sie Beethoven lieben, anerkennen und sich mit ihm auseinandersetzen. Diese Öffnung in die Gegenwart ist mir wichtig. Ich wollte das Publikum ansprechen und mitnehmen.

Man hat den Eindruck, dass Ihre Kritiker den festlichen Beethoven vermissen. Liegt es nicht nahe, zu sagen, man kommt diesen Kritikern mit dem Programm entgegen?

Wagner: Das habe ich im Lauf der Jahre auch getan. Ein Veranstalter ist abhängig vom Publikum. Trotzdem ist es mir ein Anliegen – und das ist kein pädagogisches Anliegen, es ist ein Beethoven‘sches Anliegen –, die Menschen für etwas zu gewinnen, das nicht auf einem Unterhaltungslevel ist. Beethoven ist ein existenzieller Komponist. Es geht ihm ums Ganze, es geht ihm um die Menschheit, ums Absolute, die Freiheit und das Weitergehen. Das sind alles keine Spaßkriterien. Ich kann Beethoven nicht leichter machen, als er ist. Er ist nicht Johann Strauss, er ist Beethoven.

Sollte man das mit festlichen Elementen flankieren?

Wagner: Die Festlichkeit liegt sehr am äußeren Rahmen. Wer eine tolle Location hat, der hat schon gewonnen. Mein Problem aber ist allen bekannt. Zuerst drei Jahre in der alten Beethovenhalle mit all ihren Mängeln und dann Heimatlosigkeit. Nun kommt das dritte Jahr Ersatzspielstätte WCCB. Wir wissen es aus vielen Rückmeldungen: Die Mehrheit des traditionellen Beethoven-Publikums der Stadt geht nicht gerne in die Kongresshalle. Was soll ich machen?

Wünschen Sie sich nicht manchmal, die Idee eines Festspielhauses wäre doch realisiert worden?

Wagner: Sicher kann man darüber spekulieren. Dann hätten die Bonner aber die alte Halle abreißen müssen, denn sie hat den besten Standort. Ich muss Ihnen aber sagen: Berliner Kunstfreunde finden die Location Beethovenhalle total scharf. So was wünscht man sich, das ist retro, das ist super. Ich finde es richtig, dass man die Halle erhalten hat. Das ist ein Bau der deutschen Nachkriegsmoderne und als solcher geschichtlich wichtig.

Es sind Zahlen auf dem Markt, wonach die Auslastung des Beethovenfestes auf 70 Prozent gesunken sei und die Eigenerlöse dramatisch geschrumpft seien. Können Sie das erklären?

Wagner: Ich erkläre mir das hauptsächlich mit dem Spielstättenproblem. Erst gab es das Ungenügen an der Beethovenhalle, dann das Ungenügen am WCCB, das festlich überhaupt nicht aufgewertet wird. Da sind keine roten Teppiche, da sind keine Palmen. Und die Eingänge sind so unauffällig, dass man sie erst gar nicht sieht. Obwohl gerne das Gerücht verbreitet wird, mein Beethovenfest sei „elitär“, glaube ich nicht, dass es an meinem Programm hängt. Es ist in großen Teilen auf ein großes Publikum zugeschnitten. Aber sagen wird man's schon dürfen: Sobald einmal Mahler, Bartók oder Schönberg im Programm enthalten sind – zu schweigen von Zeitgenossen –, muss man schon einen Barenboim dazunehmen, damit das Ganze einigermaßen läuft.

Muss man am Marketing arbeiten?

Wagner: Selbstverständlich. Nur ist Marketing im Klassikbereich nicht so einfach, obwohl auch dort mit allen möglichen optischen oder erotischen Reizen gearbeitet wird. Wir tun, was wir können, im traditionellen Bereich wie in den sozialen Medien. Aber es versendet sich auch vieles und ich muss immer entscheiden – das Geld in die Kunst stecken oder in die Werbung?

Trifft Sie der Vorwurf, andere Festivals seien – auch wirtschaftlich – erfolgreicher?

Wagner: Das wirtschaftliche Argument ist eines. Auslastungszahlen sind für mich nicht der totale Beweis höchster Qualität. In spärlich besuchten Konzerten passiert oft das Entscheidende, wie die Musikgeschichte zeigt. Da kann man auch einen Künstler entdecken. Apropos entdecken: Das Problem heute ist die Medialisierung eines Künstlers – wehe, er ist nicht medialisiert! Dann strömt die Menge schon weniger. Es wäre mir lieb, die Aufmerksamkeit des Publikums von Starkult weg auf die Werke zu lenken – dass wir die Best-of-Künstler engagieren, ist doch selbstverständlich.

Stoßen Sie dabei auch an finanzielle Grenzen?

Wagner: Wir spielen finanziell nicht in der obersten Liga. Wir müssen sehr genau verhandeln, auch mal verzichten und die Gelder oft aus verschiedenen Quellen zusammenstoppeln. Auch das ausverkaufte Konzert trägt sich nicht selber. Aber ein Festival braucht Zugpferde, und die sind meistens teuer. Allein in diesem Jahr haben wir den Nobelpreis-Pianisten Pierre-Laurent Aimard, die Geigerin Carolin Widmann und den Weltklasse-Bariton Christian Gerhaher. Die Suche nach Sponsoren höret nimmer auf.

Ist es ein Bonner Spezifikum, dass Beethoven hier kommunalpolitisch eine große Rolle spielt – und ist das Ihrer Meinung nach gut fürs Beethovenfest?

Wagner: Was mir auffällt als Zugereister, ist, dass hier der Fundus des Miteinanders politisch geprägt ist. Ich meine das durchaus positiv, es ist ja zurückzuführen auf die politische Vergangenheit der Stadt. Nirgendwo, scheint es, wird so viel diskutiert und debattiert wie hier, diplomatische Formen spielen eine große Rolle. Auch der Vorsitzende der Bürger für Beethoven ist ja Politiker gewesen. Sein Herzensanliegen Beethoven verbindet sich folgerichtig mit politischem Gebaren. Mir ist diese Welt eher fremd, ich möchte mich nicht in politische Auseinandersetzungen begeben. Das liegt mir nicht, da mache ich leicht Fehler, weil ich sehr spontan bin und oft zu aufrichtig.

Als Festivalchefin sind Sie berufsbedingt Optimistin. Sind Sie optimistisch, die derzeit gestörte Beziehung zum Publikum zu reparieren?

Wagner: Ich glaube, ja. Ich habe viel Übung im Zugehen auf das Publikum und suche auch weiterhin den Dialog. Sie ahnen nicht, zu wie vielen Menschen ich in kleineren Kreisen spreche. Da habe ich immer die besten Resonanzen erlebt. So etwas freut mich immens. Ich mag das Publikum.

Was mögen Sie am Bonner Publikum?

Wagner: Die Bonner sind flächendeckend die liebenswürdigsten Menschen, die ich kennengelernt habe. Insofern fühle ich mich sehr wohl hier. Meine Aufgabe ist es, diesem Publikum das Besondere zu bieten, es zu überzeugen, zu verführen, mitzunehmen.

Setzen Sie, wie zum Beispiel das Schleswig-Holstein Festival, auf eine Vielfalt der Spielstätten?

Wagner: Wir bespielen nicht nur das Bonner Zentrum, sondern auch das Umland. Wir sind beinahe in jeder Dorfkirche, jedem Schloss, jeder Mehrzweckhalle. Der Rhein-Sieg-Kreis freut sich. Die Menschen schätzen es, dass wir zu ihnen kommen mit unserer Musik.

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