Zeitungen nach der Nazizeit Presse und Propaganda

Wie Zeitungsverlage nach 1945 mit ihrer Vergangenheit während der Nazi-Zeit umgingen, ist ein wenig beachtetes Forschungsfeld. Unsere Volontärin Christine Ludewig beackert es.

 Die Nationalsozialisten hinterließen ein Deutschland in Trümmern, auch in der Presselandschaft. Hier das unbeschädigte Beethoven-Denkmal in Bonn, aufgenommen 1945.

Die Nationalsozialisten hinterließen ein Deutschland in Trümmern, auch in der Presselandschaft. Hier das unbeschädigte Beethoven-Denkmal in Bonn, aufgenommen 1945.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpa

Seit Januar bin ich Volontärin beim General-Anzeiger und schreibe an meiner Masterarbeit im Fach Geschichte. Sie handelt von sogenannten Altverlagen, wie auch der General-Anzeiger einer war. Wie Zeitungsverlage zum Naziregime standen und wie sie nach 1945 mit ihrer Vergangenheit umgingen, ist ein kaum beackertes Forschungsfeld der Unternehmenshistoriker.

Die Tagespresse verkümmerte nach 1933 zum Propagandawerkzeug. Die Verlage wurden schrittweise gleichgeschaltet, das heißt personell, inhaltlich oder wirtschaftlich dem NS-Regime unterworfen. Reichspressekammer und Propagandaministerium verfügten über Kontroll-Instrumente. Das Schriftleitergesetz machte Journalisten zu „Schriftleitern“ und Journalismus zur „vom Staat durch dieses Gesetz geregelten öffentlichen Aufgabe“.

Verleger und Journalisten waren ein Spiegel der Gesellschaft. Viele bejubelten die sogenannte Machtergreifung, einige distanzierten sich innerlich vom Regime, aber der später gern postulierte „Widerstand zwischen den Zeilen“ blieb weitgehend wirkungslos.

Lizenzen nach dem Krieg nur für unbelastete Verlage

Als Altverlage bezeichnet man Unternehmen, die vor 1945 Zeitungen herausgaben. Sie durften nach Kriegsende zunächst nicht wieder tätig werden. Die Alliierten vergaben Lizenzen nur an Unbelastete. Erst 1949 durften alle Altverlage ihre Druckmaschinen wieder anwerfen.

Die wenigen wissenschaftlichen Verlagsgeschichten zur NS-Zeit erschienen meist nach öffentlichem Druck. Die Kölner DuMont Mediengruppe vergab 2006 nach einem „Spiegel“-Artikel über Grundstückskäufe vor 1945 einen Auftrag an den Historiker Manfred Pohl. Er sollte untersuchen, ob diese Käufe Teil der „Arisierungen“ der Nazis waren. Dazu gab es im Buch aber nur ein recht kurzes Kapitel – ohne abschließendes Fazit.

Es war wieder der „Spiegel“, der 2017 fragte, warum eine vom Madsack-Verlag in Hannover beim Historiker Jens Flemming in Auftrag gegebene Arbeit nach Fertigstellung nicht veröffentlicht wurde. Als sie dann doch erschien, zeigte sich, dass Flemming kritischer und ausführlicher als Pohl auf den heikelsten Aspekt einging: das zögerliche Verhalten gegenüber Rückerstattungsansprüchen der jüdischen Familie Sichel, die unter den Nazis ihre Anteile am Verlag verloren hatte.

Viele Verlage blendeten Anpassungsverhalten an das NS-Regime aus

Aufträge an Historiker waren eine Seltenheit – die meisten Altverleger gewährten nur in hübschen Festschriften zu ihren Jubiläen Einblicke in die Wahrnehmung ihrer eigenen Geschichte zwischen 1933 und 1945. Diese Festschriften sind nicht zentral archiviert – man muss sie sich zusammensuchen. Eine Auswahl von knapp 20 Festschriften und Online-Publikationen, die alle zumindest kurz die NS-Zeit thematisierten, zeigt ein vielfältiges Bild.

Vor allem in den frühen Nachkriegsjahrzehnten finden sich dramatische Schilderungen der Verlage quasi als NS-Opfer („Krieg im Dunkeln“, „Kampf ums Überleben“), die Anpassungsverhalten ausblenden. Befremdlich wirkt heute auch, wenn die alliierte Lizenzpolitik mit der NS-Presselenkung verglichen oder gar gleichgesetzt wurde. Es finden sich aber auch ungeschönte Eingeständnisse, dass die Blätter regimekonform oder gleichgeschaltet waren. Viele Festschriften sind von Zeitzeugen verfasst und deshalb subjektiv. Statt wissenschaftlicher Präzision bieten sie Einblicke in den Alltag der Verleger und Journalisten, etwa wenn die „Fuldaer Zeitung“ 1948 berichtet, wie 1933 Nazi-Schläger das katholische Verlagshaus verwüsteten.

Für eine Jubiläumsausgabe engagierte der Verleger des General-Anzeigers 2014 den Historiker Bernd Sösemann, um die Rolle des Verlags in der NS-Zeit einzuordnen. Sösemann kam zu dem Schluss, dass der GA ein gleichgeschaltetes Propagandablatt war, aber zwölf Jahre lang einen nach NS-Begriffen „halbjüdischen Mitarbeiter“ schützte. Wie wichtig der ehrliche Blick in die Vergangenheit für nachfolgende Generationen ist, thematisierte 1959 ein Redakteur des „Solinger Tagblatts“ und Zeitzeuge in einer Festschrift: „Wir haben uns recht- und schutzlos gefühlt. Und so etwas wirkt nicht gerade günstig auf das Niveau. Man sollte – den Jahrgang 1939 etwa – zur Pflichtlektüre erklären für Jungredakteure.“

Christine Ludewig schreibt gerade ihre Masterarbeit mit dem Titel „Rückblick auf die Jahre 1933 bis 1945 im Spiegel von Jubiläumsschriften und Unternehmensgeschichten deutscher Zeitungsverlage“ bei Professor Dr. Carsten Burhop an der Universität Bonn.

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