Bundeskunsthalle in Bonn Abheben und sich wohlfühlen auf der "Outer Space"

BONN · Dieser Mann hat sich einen Traum erfüllt: Man sieht einen winzigen Raum mit Lenin- und allerlei Propagandaplakaten, einer ärmlichen Pritsche in der Ecke und, gleichsam mitten im Raum schwebend, einer Sitzfläche, die an Bändern und Sprungfedern herabhängt.

Ein archaisches Katapult, das offenbar den Bewohner in den Weltraum gejagt hat. Der russische Künstler Ilja Kabakow lässt da kaum Zweifel: Ein riesiges Loch in der Decke und der Titel "The man who flew into space from his apartment". Der Mann, der von seinem Zimmer aus ins Weltall flog.

In dieser Installation fast am Ende der Ausstellung "Outer Space" in der Bonner Bundeskunsthalle läuft alles zusammen, was die Faszination Weltraum ausmacht: Der Urtraum, ins Unbekannte, zu den Sternen, ins All zu reisen, aber auch der wahnwitzige west-östliche Wettlauf zum Mond im Kalten Krieg, der mit dem Sputnik-Schock von 1957 die USA aufrüttelte und mit der Mondlandung 1969 von Apollo 11 einen Etappensieg der USA verzeichnete. Die "Bild" titelte damals: "Der Mond ist jetzt ein Ami."

Fantasien und Mythen, Technik und politisches Kalkül, Triumphe und Tragödien, Sehnsucht und Enttäuschung: Die Kuratoren Stephan Andreae und Claudia Dichter haben aus diesem Spannungsfeld ein labyrinthisches Gefüge von Themen und Räumen konzipiert, das Wissenschaft, Kulturgeschichte und Kunst in einen Dialog über Utopien und Wirklichkeit der Raumfahrt bringt und sich als Essay versteht.

Der beginnt mit einer veritablen bordeauxfarbenen Kunst- und Raritätenkammer, in der neben dem Donnerstein von Ensisheim - einem kapitalen zentnerschweren Meteoriten, der anno 1492 aufs Elsass niedersauste - und der Kopie der rund 4000 Jahre alten Himmelsscheibe von Nebra, dem ältesten Abbild des Sternenhimmels, Rubens' pralles Historiengemälde von der Entstehung der Milchstraße aus dem Madrider Prado zu sehen ist.

Während man noch in den Milchstrahl vertieft ist, der aus Heras Brust schießt und sich auf dem Himmel abzeichnet, hört man schon mit Gedröhn den Start einer Sojusrakete 2013 in Richtung ISS aus dem Nebenraum.

Alle 20 Minuten hebt sie in einer neun Meter hohen Projektion ab, flankiert von einem historischen Kaleidoskop, das Fritz Langs Raumfantasien und Karl Hans Jankes utopisches "Weltall-Echo" ebenso umfasst wie die perfide Raketenwaffe V2 der Nazis in Peenemünde, die von Wernher von Braun entwickelt wurde - der nach dem Krieg in Amerika unter anderem für die NASA arbeitete.

Vom propagandistisch ausgeschlachteten Wettlauf zum Mond, von den Raketenäffchen Miss Able und Miss Baker, aber auch von den Toten der Raumfahrt handelt ein weiteres Kapitel. In blaues Licht getaucht ein Künstlerraum von Via Lewandowsky, der fiktive Überreste des 1967 gestorbenen Kosmonauten Wladimir Komarow zeigt; aus dem Lautsprecher der letzte Funkkontakt, abgefangen von einer US-Spionagestation.

Es fällt schwer, von diesem Raum der Erinnerung in die sehr schöne, schrille Welt der Science-Fiction zu wechseln, einen Raum, der sinnigerweise wie ein Scharnier zwischen mehreren Abteilungen funktioniert. Hier treffen Traum und High-Tech, Allmachtsfantasien und Urängste zusammen: R2-D2 und der goldene Protokolldruide aus "Star Wars", das Raumschiff Enterprise aus "Star Trek", E.T. und das Rüsseltier "Picasso" aus "The 5th Element", fiese Aliens und der Eisportionierer, der in "Raumpatrouille Orion" als Roboterhand fungierte, zeigen das breite Panorama des Genres. Unendliche Weiten tun sich auf.

Ernüchternd dagegen die Realität: Man wird wohl wenige Menschen finden, die sich freiwillig in die kleinwagengroße Mercury Kapsel zwängen würden, die den schönen Namen Liberty Bell hat und das wohl spektakulärste Exponat der Schau ist. Virgil Grissom war 1961 damit, in einen engen Sitz gepfercht, Kabel und archaische Kippschalter vor der Nase, in den Orbit geflogen.

Bei der Landung im Atlantik schaffte es Grissom gerade noch ins Freie, bevor die Kapsel absoff und auf 4800 Meter unter den Meeresspiegel sank. 1999 wurde sie geborgen, anschließend liebevoll restauriert. Man erlebt Enge, höchstes Risiko, ein aberwitziges, unkomfortables Weltraum-Klo, sieht die Socken des deutschen Astronauten Reinhold Ewald: Der Alltag im All war wenig glamourös.

Mehr solcher "Reality" hätte dieser Schau, die eine Spur zu selbstverliebt und hochglänzend daherkommt, gutgetan. Auch mehr Ehrlichkeit. So wird der militärisch-wirtschaftliche Aspekt der Raumfahrt ebenso ausgeblendet wie überhaupt das Warum dieser unglaublich kostspieligen Anstrengungen. Auch die Ergebnisse, ob zivil oder militärisch, bleiben im Dunkeln. Immerhin: Im benachbarten Kunstmuseum Bonn, Kooperationspartner der Bundeskunsthalle, zeigt der Fotokünstler Trevor Paglen, wie Heere von Spionage-Drohnen und Überwachungssatelliten ihre Spuren in einen Himmel zeichnen, der längst nicht mehr unschuldig ist.

Info

Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis 22. Februar. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr, Katalog 32 Euro. Trevor Paglen im Kunstmuseum Bonn; bis 22. Februar. Di-So 11-18, Mi 11-21Uhr

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