Theater in Köln Als Cundrie einmal völlig ausrastete

KÖLN · Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann bringt Wolfram von Eschenbachs Versepos "Parzival" auf die Bühne: Ein spannendes Ringen

Nach anderthalb Stunden ist im Depot 1 des Kölner Schauspiels Schluss mit edlem Versmaß und einfühlsamem Spiel. "Saallicht!" fordert die Zottelhexe Cundrie, lässt Bühnenarbeiter das Protestschild "Die Tafelrunde ist zerstört" herumtragen und verlangt: "Mitmachtheater, da steht ihr Kölner doch drauf, hat mir Karin Beier erzählt". Als keiner folgt, keift sie ihren Hass aufs Mittelalter eben solo heraus.

Dabei hat doch Melanie Kretschmann, die diesen Stilbruch furios auf die Bretter stampft, in Stefan Bachmanns "Parzival" vorher so traumschön alle Zumutungen geschluckt: das Herzeleid der Mutter Herzeloyde, die den einsiedlerisch erzogenen Titelhelden dann doch an die blutige Ritterwelt verliert. Oder das Schicksal der Königin Conduiramour, die ihren geliebten Parzival bald zu neuen Abenteuern ziehen lassen muss.

Harscher Protest gegen das Los der Frauen

Cundries Eklat aber zerbricht die Minnesängerlüge, die Frauen kunstvoll aufs Podest hebt - um sie dann von siegreichen Rittern als Trophäen abräumen zu lassen. So erleidet Wolfram von Eschenbachs Versepos, hier in der griffigen Übersetzung von Dieter Kühn, bei der Zeitreise aus dem 13. Jahrhundert ins Heute massive Blessuren.

Dennoch wirkt der rabiate Eingriff wohlüberlegt: Das fromme Märchen offenbart im szenischen Härtetest seine historischen Sollbruchstellen. Simeon Meiers mächtiger Bühnenquader bietet die Idealkulisse einer fesselnden Auseinandersetzung: Oft schwebt der obere Teil wie ein zentnerschwerer Sargdeckel über den Figuren oder ist so abgesenkt, dass Artus' Tafelrunde kopflos wird. Der Verzicht auf eine eigene Dramatisierung fällt hier kaum auf, weil Gerrit Jansen als Erzähler elegant die Handlung souffliert. Die setzt das meist in Mehrfachrollen geforderte Ensemble bravourös in Aktion um, oft in apartem Kontrast zum Text. Verblüffend, wie sich etwa Stefko Hanushevsky und Annika Schilling in gegensätzlichste Figuren verwandeln oder Jörg Ratjen vom Gralskönig zum Eremiten im Pennermilieu mutiert.

Und Bachmann findet starke Bilder: den giftgrün vernebelten Angst-Raum der frühen Jahre des Helden, später Parzival im Schneegestöber - oder vor jenem Sockel versagend, auf dem Amfortas an der ewigen Wunde leidet. Das Gralspathos hält die Inszenierung freilich, anders als Richard Wagners "Bühnenweihfestspiel", klug in Grenzen. Wichtiger als die Erlösung des Helden scheint hier sein beigelegter Bruderzwist mit Fairefis, die Versöhnung von Orient und Okzident.

Dass Marek Harloff Parzivals Psychogramm zwischen Naivität, Ruhmsucht und Reue eher mimisch skizziert als mit dem Silberstift zeichnet, schadet kaum. Ohnehin gebührt Melanie Kretschmann die Krone des Abends. Nach Cundries Ausbruch schließt sich der Spalt im Stück nie mehr ganz, der Zugriff wirkt grober, greller.

Doch so nah Bachmann etwa Gawans (artistisch: Nikolaus Benda) Kampf mit dem Wunderbett an die Slapstick-Klippe treibt, so hoch das Kunstblut auch spritzen mag - fast jede Szene bewahrt dank exzellenter Schauspieler ihre Innenspannung.

Natürlich könnte man dem Kölner Intendanten vorwerfen, hier das Ausrufezeichen einer schlüssigen Deutung schuldig zu bleiben. Doch dieser "Parzival" zeigt zwischen Nibelungentreue zum Text und halbstarker Regiewillkür einen spannenden dritten Weg: das kritisch-intelligente Ringen mit dem Stoff. Einhelliger Beifall, einige Bravi.

Nächste Termine: 11., 20. und 28. Februar, jeweils 19.30 Uhr. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen

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