Auftakt des Tanzsolofestivals in Bonn Am Ende wird alles Wut

Bonn · Das Bonner Tanzsolofestival beginnt mit zwei sehr unterschiedlichen Vorführungen. Packend sind beide, komisch mitunter auch. Auf jeden Fall aber energiegeladen.

 „Rasp Your Soul“ hat die Choreografin Kat Válastur dem Tänzer Enrico Ticconi auf den Leib geschrieben.

„Rasp Your Soul“ hat die Choreografin Kat Válastur dem Tänzer Enrico Ticconi auf den Leib geschrieben.

Foto: Leon Eixenberger

Zwei Tanzsolos, die ästhetisch sehr unterschiedlich die Gegenwart erkunden, eröffneten am Wochenende das 8. Internationale Bonner Tanzsolofestival. Im Theater im Ballsaal untersuchte die aus Griechenland stammende Choreografin Kat Válastur in ihrem 2017 uraufgeführten Stück „Rasp Your Soul“ den von innen und außen bewegten Körper. Sie hat die beeindruckende Performance dem italienischen Tänzer Enrico Ticconi auf den Leib geschrieben.

Anfangs liegt Ticconi da in schlaglichtartig beleuchteten Posen. Dann scheinen Krämpfe ihn zu schütteln. Die pochenden Laute aus seinem Körper formieren sich mühsam zu Wörtern und Sätzen. Per Mikro verfremdet, in Loops multipliziert, mit anderen Klangspuren vermischt und im ganzen Raum verbreitet. Auf dem Boden aus Teppichfliesen beginnt er unbeholfen zu gehen, zappelt, hüpft, rennt, stürzt. Válastur hat dafür eine neue Bewegungssprache entwickelt, die sie „Strobing“ nennt. Wie bei Stroboskop-Lichtblitzen erscheinen die Bewegungen abgehackt als Folge von stehenden Bildern, akustisch fortgesetzt durch den fragmentarisierten Sound. Ticconi produziert gleichzeitig Bewegungen und Töne, scheint ihnen aber auch zu folgen. Jede Faser seines Körpers vibriert, animalisch wälzt er sich auf dem Boden, beißt in einen der herumliegenden Bambusstäbe, grunzt, schmatzt, spuckt. Dann posiert er wieder wie auf Kommando.

Eine beseelte Marionette?

Das ist mitunter komisch, aber auch erschreckend. „Do not disconnect“, wiederholt er. Ist er eine beseelte Marionette, ein humanoides Kunstgeschöpf, das ohne die Verbindung zu einem Apparat seine Energie verliert? Am Ende der einstündigen Vorstellung befreit er sich von dem Trikot, aus seinen Atemgeräuschen wird ein tierisches Gebrüll. „Rasp Your Soul“ ist eine tänzerisch spannende Untersuchung des körperlichen Zusammenspiels von Innen und Außen und gleichzeitig eine Reflexion über die Vermischung von Organischem und Künstlichem.

Am folgenden Abend stellte die Choreografin Anna Konjetzky im ausverkauften Theatersaal der Brotfabrik ein Manifest der weiblichen Empörung dagegen. Es gibt unzählige Gründe, wütend zu sein. Besonders als Frau. Wut ist ein Gefühl, das den ganzen Körper erfasst: Zähneknirschen, Muskelspannung, Steigerung der Pulsfrequenz und des Adrenalinspiegels. Wut macht aber auch stark. Die aus Belgien stammende Tänzerin Sahra Huby zeigt die Tanzinstallation „Über die Wut“ mit atemberaubender Energie.

Bizeps und Brusttrommeln

„WUT“ steht in großen Leuchtbuchstaben zwischen den von der Decke hängenden weißen Papierbahnen, die als Projektionsfläche für Bilder von Missständen und für Protestaufrufe dienen. „Stop“ ruft Huby ins Mikrofon, das ihre Stimme vervielfältigt. Sie setzt sich, steht wieder auf, springt hoch, taumelt, tobt, stampft, keucht, schreit. Das ganze zornige Bewegungsvokabular wird durchdekliniert bis hin zum männlich konnotierten Zeigen von muskulösem Bizeps, stolzem Brusttrommeln und Zähnefletschen. Auch Greta Thunbergs „How dare you“ ist zu hören.

Ab und zu scheint die Tänzerin in der Flut der Video-Projektionen fast unterzugehen. Der optische Overkill verstärkt indes noch das Gefühl der ohnmächtigen Wut. Akustisch untermalt wird all das perfekt von der elektronischen Musik von Brendan Dougherty. Mitunter parodiert Huby die aggressiven Gebärden bis hin zu grotesken Verrenkungen und traut sich auch, komisch zu erscheinen.

Gegen Ende entledigt sich die Tänzerin ihres grauen Overalls, öffnet ihren strengen Haarknoten und tanzt nackt mit wehender Mähne über die Bühne. Ganz leicht und wie befreit von der Hektik und Anspannung. Es ist ein energischer Aufruf zur Selbstbestimmung. Konjetzkys großartige Inszenierung setzt gegen die Klischees der zornigen Frau als hysterische Zicke eine weibliche Wut, die auf die konkrete Veränderbarkeit der Verhältnisse abzielt.

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