Zyklus mit Beethovens Klaviersonaten András Schiff begeistert am zweiten Abend mit pianistischen Höhepunkten

BONN · Es bedarf einigen Mutes, Beethovens 32 Klaviersonaten in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. András Schiff besitzt ihn ohne Frage. Der Pianist verzichtet mit dieser Entscheidung nämlich auf eine eigene Dramaturgie, in der er etwa jedes Konzert seines Zyklus beim Beethovenfest wirkungsvoll mit einem der großen, populären Werke abschließen könnte.

Er muss sich ganz auf die Spannungsbögen verlassen, die Beethoven in den aufsteigenden Opuszahlen selbst angelegt hat. Am zweiten Abend in der sehr gut besuchten Beethovenhalle standen die drei Sonaten op. 10 auf dem Programm, nach der Pause gefolgt von der "Pathétique" op. 13 und den beiden seltener zu hörenden op. 14.

Schon in der ersten Sonaten-Trias op. 10 machte Schiff deutlich, wie konzeptionell Beethoven selbst dachte. Dazu muss Schiff nicht einmal die unterschiedlichen Profile der drei Sonaten künstlich schärfen. Sein Spiel wirkt immer unprätentiös, als könnte die Musik gar nicht anders klingen.

Der punktierte Rhythmus der aufsteigenden Dreiklangsfigur in der c-Moll-Sonate besitzt Energie und Ausdruck, die 64tel des Adagio-Gesangs fließen so dahin, lassen vergessen. Die Sonate in F-Dur stellt Schiff als heiteres, mitunter an Scarlattis Künste erinnerndes Zwischenspiel vor. Höhepunkt ist die längste der drei Sonaten op. 10.

Vor allem das gut zehnminütige Adagio zeigte, dass Schiff ohne Frage zu den ganz großen Beethoven-Interpreten unserer Zeit zählt. Wie er hier das Klavier singen ließ, die Töne zu einer Melodie band, wie er der Musik durch sein nuanciertes Spiel Atem einhauchte, war ergreifend.

Dass er nach der Pause wie schon zu Beginn erneut in c-Moll beginnen konnte, ist wiederum so ein dramaturgisches Element, das der Interpret Schiff dem Komponisten Beethoven zu verdanken hat. Die als Pathétique bekannte Sonate op. 13 setzt den leidenschaftlichen Ausdruck auf einer höheren Stufe fort.

Doch Schiff will das nicht überstrapazieren. Im Gegenteil. Die Grave-Einleitung lädt er nicht bedeutungsschwer auf, sondern verleiht ihr einen vorwärts drängenden Zug, der zielgerichtet zum Allegro-Thema führt. Die Zartheit des Adagio cantabile und das mitreißende Presto-Finale bilden anschließend ein hinreißendes Kontrastpaar.

Nicht weniger intensiv geriet die Auseinandersetzung mit Beethovens zwei Sonaten op. 14, deren Ausdruckswelt Schiffs Naturell sehr entgegenzukommen scheint. Für den Applaus bedankte sich Schiff ausgesprochen großzügig mit der kompletten Französischen Suite in G-Dur von Johann Sebastian Bach: Sieben Sätze pures musikalisches Glück, das erst um 22.40 Uhr sein Ende fand.

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