Ariadne und die Sparsamkeit

Melodram und Malerei im 18. Jahrhundert: In der Theaterwissenschaftlichen Sammlung auf Schloss Wahn steht die Schauspielerin Esther Charlotte Brandes im Mittelpunkt

Wahn. Zweifellos genoss Esther Charlotte Brandes so etwas wie Starkult, nachdem sie 1775 in der Rolle der "Ariadne auf Naxos" geglänzt und damit in Deutschland den Siegeszug einer damals neuen Gattung auf dem Theater, des Melodrams, eingeleitet hatte. Aufgekommen war diese Verbindung von gesprochenem Text und begleitender Musik in Frankreich durch Jean-Jacques Rousseaus "Pygmalion".

Der Uraufführung des von Ariadne und Theseus, also von zwei Personen, handelnden "Duodramas" in Gotha folgten zehn Wiederholungen, ehe die schöne Schauspielerin mit ihrem Mann, dem Autor und Regisseur Johann Christian Brandes, ihre Erfolge in Leipzig und Dresden fortsetzte.

Die Dresdner Theaterenthusiasten waren derart bewegt, dass sie den Hofmaler Anton Graff mit dem Bildnis der Madame Brandes als "Ariadne auf Naxos" betrauten. Zum Neujahrstag 1776 machten sie es der verehrten Künstlerin als, wie man heute weiß, "erstes repräsentatives Rollenbildnis" zum Geschenk.

Und dann gewann auch dieses Gemälde von der Hand des damals höchst begehrten Porträtisten im Lande solche Popularität, dass Graff wohl noch selbst eine Replik schuf und zumindest zwei weniger berühmte Maler Kopien nach Graff anfertigten. Diese beiden Gemälde und der dem Graffschen Original folgende Kupferstich eines Heinrich Sintzenich stehen im Mittelpunkt der Ausstellung "Auf ewig verlassen ... Melodram und Malerei im 18. Jahrhundert" in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln.

Die Spur der Erstfassung, die über Jahre im Besitz des Ehepaars Brandes blieb, hat sich nach 1794 verloren. Die beiden Kopien gehören der Musik- und Theaterwissenschaftlichen Sammlung des Reiss-Museums Mannheim und eben jenem Kölner Institut. Der Kunsthistoriker Hans Ost hat das Schicksal der Gemälde geradezu kriminalistisch verfolgt, hat die Kopien genauestens analysiert und ihre Unterschiede - insbesondere in den Hintergründen - wie im Suchbild herausgefunden.

Während die ungereinigte Mannheimer Version eine Strand- und Meeresszene nur erahnen lässt, steht die restaurierte Kölner Ariadne vor einer Waldlandschaft. Diese Ungereimtheit - Ariadne trauert ihrem entflohenen geliebten Theseus doch am Strand von Naxos nach - geht auf die Sparsamkeit des Kopisten zurück, der eine bereits benutzte Leinwand übermalt hat. Seine eigene Meereskulisse wurde viel später als obere Malschicht einfach wegrestauriert.

Das sehr schöne Blatt des Stechers Sintzenich überliefert authentisch, wie Graff der felsigen Meeresküste auf der linken Bildseite gebauschte Wolken auf der rechten entgegengesetzt hat. Welchem der beiden Kopisten die Nachahmung von Stofflichkeit und Faltenwurf des Frauengewandes besser gelungen ist, mag der Betrachter entscheiden.

Hans Ost ist überdies dem Bewegungsmotiv der Ariadne nachgegangen, einer dem Melancholiegestus vergleichbaren Haltung, mit der Madame Brandes ihrer Trauer Ausdruck verlieh; und er hat sein Vorbild in einer Gestalt der antiken Niobiden-Skulpturengruppe erkannt. Da die Aktrice bald in ihrer Rolle nachgeahmt wurde, konnte Ost die Kunstgeschichte nach ähnlich verhaltenen oder pathetisch gesteigerten Gesten anderer Schauspielerinnen durchforsten.

Leider sind - aus Geldmangel - die meisten dieser hochrangigen Bilder nur im Foto präsent. Die "Ariadne auf Naxos" von Franz Gerhard von Kügelgen dagegen belegt im Original den Stilwandel von Graffs "empfindsamem" Gemälde zum Klassizismus. Schließlich sind der Regisseur Brandes, der Compositeur Georg Benda und kunsthistorische "Beweisstücke" im Kupferstich zugegen.

Wer sich auf die kleine Ausstellung einlässt, erlebt eine geistreiche Verquickung von Theater-, Kunst- und Musikgeschichte. Die dem klugen Katalog als CD beigelegte Musik, eingespielte vom Wuppertaler Sinfonieorchesteer unter Peter Gülke, übermittelt den Klang dieses Melodrams, eines letztlich nicht langlebigen Seitenwegs in der Musikgeschichte.

Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln, Schloss Wahn, Burgallee 2, 51127 Köln (Porz-Wahn), bis 28. Juli. Mo bis Fr. 10 bis 16.30; Katalog mit CD 15 Euro.

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