Stuttgarter Schau zur Geschichte der Unterwäsche Aus dem Ländle in die weite Welt

Was man "untenrum" trägt, sagt viel über Geschichte, Wirtschaft und Selbstverständnis einer Epoche aus. Entsprechend lässt die neue Ausstellung "Auf nackter Haut - Leib. Wäsche. Träume" im Stuttgarter Haus der Geschichte tief blicken. Begonnen hat der Wandel vom Tag und Nacht getragenen uniformen wollenen Einteiler für sie und ihn hin zu Softmieder und Bodywear mit der Industrialisierung im Südwesten vor rund 150 Jahren.

 Das trägt man auf nackter Haut: Blick in die Ausstellung.

Das trägt man auf nackter Haut: Blick in die Ausstellung.

Foto: dpa

Der in Frankreich entwickelte Rundwirkstuhl ermöglichte die massenweise Herstellung von Schlauchware mit den verschiedensten Durchmessern. Früh dabei war der deutsche Südwesten. Markennamen wie Schiesser und Triumph stehen für die jahrzehntelange Belieferung der Weltmärkte.

Nicht wie heute der Maschinenbau oder die Automobilproduktion, nein - die Textilindustrie hatte bis weit in die 1950er Jahre die meisten Arbeitsplätze in Baden-Württemberg geschaffen. Damals wie heute gleich: Produkte aus dem Ländle verkauften sich weit über die Region hinaus. Was in Baden-Württemberg nicht verwundern mag: Eine Idee bei der Produktion wollener Unterwäsche war, dass der, der schwitzt, schneller arbeitet. Der Körper als menschlicher Motor. Später fand man heraus, dass die Arbeitskraft beeinträchtigt wird, wenn die Körpertemperatur 37,5 Grad übersteigt. Kleidung sollte deshalb durchlässig, schmiegsam und haltbar sein. Gesundheits- und Leistungssteigerung hießen die Zielvorgaben.

Weitere Impulse erhielt die Kleiderreform um 1900 aus der Lebensreformbewegung und der Kritik von Frauenverbänden am damals üblichen Schnürkorsett. Es ging für die Frauen im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne um die Befreiung aus Zwängen. Der Körper sollte nicht geformt, sondern umhüllt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich androgyne Jugendlichkeit zum ästhetischen Ziel. Der Mensch hatte Freizeit, ging zum Baden, zum Sport, in den Wald - und wollte dafür entsprechende Kleidung.

Die Farbe kam auf, die Werbung. Auch später blieb es sportlich-schlank, allerdings unter braunen Vorzeichen. Weil Geld für Wichtigeres wie Waffen gebraucht wurde, musste die Industrie ihre Woll- und Baumwollimporte einschränken und durch Kunstseide und Zellwolle ersetzen. Nach der Leidenszeit der Kriegsjahre sollte es dann schön sein, zunächst wollte die Damenmode feminin und figurbetont sein. Neue Stoffe machten neue Schnitte möglich.

Bei den Herren dominierte der Feinripp, Farben waren eher verpönt. Ab den späten 1960er Jahren nahm dann die Ausdifferenzierung der Produkte immer weiter zu; in den 1980er Jahren diente Wäsche immer stärker der Selbstinszenierung und Sexualisierung. Die Exponate der Stuttgarter Schau stammen zum allergrößten Teil aus den Archiven des Radolfzeller Herstellers Schiesser. Der Insolvenzverwalter hatte 2009 die komplette Musterkollektion der Traditionsfirma vom Bodensee dem Haus der Geschichte als Leihgabe überlassen. Für die Stuttgarter der Anlass, sich mit einer Ausstellung des Themas Unterwäsche anzunehmen.

Bis 31. Januar, dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Der 178-seitige Katalog kostet 24,90 Euro.

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