Ausstellung des Fotokünstlers Thomas Ruff in Bad Honnef Das Internet als Fundgrube

Bonn · Das Rhöndorfer KAT_A der Sammlerin Andra Lauffs-Wegner zeigt eine spannende Ausstellung über den Fotokünstler Thomas Ruff.

 Sammlerin Andra Lauffs-Wegner auf Augenhöhe mit dem astronauten Edward H. White aus einem Agenturfoto, das Thomas Ruff bearbeitet und „press++01.16 “(2015) genannt hat.

Sammlerin Andra Lauffs-Wegner auf Augenhöhe mit dem astronauten Edward H. White aus einem Agenturfoto, das Thomas Ruff bearbeitet und „press++01.16 “(2015) genannt hat.

Foto: Benjamin Westhoff

Eine fast zu schöne Landschaft mit einem Gewässer, ein Postkartenblick durch herabhängende Zweige ins Grüne und ins Blaue. Das Bild hängt an der scheckigen Wand des ehemaligen Speisesaals des Müttergenesungswerks in Rhöndorf, seit Jahren schon Andra Lauffs-Wegners Kunstraum KAT_A. Ein ungewohntes Motiv in diesen Räumen.

Man nähert sich dem Foto, das Motiv löst sich förmlich in fein verästelte Pixel-Strukturen auf. Thomas Ruff hat das zur Unkenntlichkeit vergrößerte fotografische Fundstück „jpeg la01“(2007) genannt. Das Datenkomprimierungsverfahren ist jedem aus der digitalen Bilderwelt geläufig. Ebenfalls das Internet als unendlicher Bilderfundus, der Computer als Werkzeug der Bildbearbeitung und als Schöpfer von fotografischen Bildern: Als Ruff 1985 die legendäre Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie verließ (von 2000 bis 2006 leitete er dann die Klasse), waren die neuen Medien schwer in der Diskussion und die klassische Fotografie fast schon abgeschrieben.

Bilder aus dem großen Fundus

Ruff fotografierte in den frühen 1990er Jahren noch, etwa Porträts von Kommilitonen. Doch dann gab er sich der Faszination bildgebender Medien hin. Er nutzte die Technik der Polizei, um Fahndungsfotos zu machen, arbeitete mit vorhandenen Bildmaterial, etwa Zeitungsfotos, durchstreifte ab 1999 das Internet nach Motiven, fand sie zum Beispiel auf Pornoseiten, deren Inhalte er durch starke Vergrößerung verschwimmen ließ. Im Internet und in Fotoarchiven traf er etwa auf Bilder von Bauten von Ludwig Mies van der Rohe, die er digital bearbeitete – ohne seine Spuren zu verwischen.

Er holte sich Manga-Figuren aus dem Netz, die er durch extreme Vergrößerung und die Überlagerung verschiedener digitaler Schichten in bonbonbunte Farbwolken verwandelte. „Substrat“ nannte er diese Serie. Der Fundus der digitalen und technologischen Bilder kreiert immer wieder neue Ideen und Serien.

Projekt zweier Sammler

„Kein Künstler hat die sich hieraus ergebenden Veränderungen unserer Bildkultur so sorgfältig beobachtet und dokumentiert wie Thomas Ruff.“ Das meint der Sammler Markus Kramer. Vor vielen Jahren traf die Rhöndorfer Sammlerin Andra Lauffs-Wegner, auch sie ein großer Ruff-Fan, Kramer bei einem Essen in Basel. Man hielt den Kontakt, tauschte sich immer wieder über den Fotokünstler aus. Lauffs-Wegners Idee einer gemeinsamen Ruff-Schau griff Kramer beherzt auf. Bald schickte er ein detailliertes Konzept, in dem aber die zentralen Werke aus Lauffs-Wegners Sammlung gar nicht auftauchten. Schlimm? Für Lauffs-Wegner kein Problem: „Für mich war das ein Abenteuer, ihn das machen zu lassen: Ich bin eher der visuelle Typ, er ist total verkopft – und dabei emotional“, erzählt sie und ist begeistert über den „anderen Blick auf Ruff“. Ihr Fazit: „Es ist super anspruchsvoll, aber auch super gut geworden.“ Auch Ruff selbst, der bei der Eröffnung dabei war, sei sehr angetan gewesen.

Kramer arrangiert die Ruff-Werke nicht chronologisch, sondern thematisch, verfolgt Ruffs Annäherungen an das Medium über die technische Schiene, lässt die Reihe der „Negative“-Serie mit den Ergebnissen einer analogen Bildbearbeitungsmaschine und der Bildmanipulation zusammenfließen.

Wenn Bilder lügen

„Das Bild lügt“, schreibt er dazu im Katalog. „Mindestens 50 Prozent Ruff“: Dieser Vorgabe sei der Fotokünstler, so Kramer, gefolgt, als er mit gefundenem Bildmaterial an seinem Projekt über Mies van der Rohe arbeitete und sich das Ziel setzte, „mindestens 50 Prozent eigene Wertschöpfung“ durch die nachgelagerte digitale Transformation der Bildvorlagen einzubringen. Das Ergebnis ist in der Kapelle des KAT_A zu sehen.

Mao als Hologramm

Weitere Kapitel der Schau heißen „Das Internet wird zur zweiten Wirklichkeit“, „Bilder im digitalen Strom“ und „Technische Prothesen für das menschliche Auge“ über Ruffs 3D-Experimente. Eine der faszinierendsten Arbeiten zeigt den sitzenden Mao als weiße marmorne Sitzfigur in seinem Mausoleum. Ein Bild aus der Serie der „Tableaux chinois“ (seit 2019), in der sich Ruff aus chinesischem Propagandamaterial der 1960er bedient, etliche Motive übereinander lagert. Da­raus entsteht ein unscharfes, quasi flackerndes Bild, eine Vision, die an ein Hologramm erinnert. Eine von vielen Entdeckungen in der sehr gelungenen Ausstellung „Thomas Ruff//Dispersion“. 

KAT_A, Drachenfelsstraße 4-7, Bad Honnef-Rhöndorf; bis April 2023. Besuch nur im Rahmen von Führungen. Informationen: www.kat-a.de

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