56. Kunstbiennale in Venedig Ballerspiele an der Lagune

VENEDIG · Dieser Tempel der deutschen Kunst in den Gärten der Biennale von Venedig war schon vieles: Medienlabor, Spielwiese, Mahnmal mit herausgeschlagenem Granitboden.

 Im Untergeschoss: Hito Steyerls Großleinwand-Computerspiel um Pop und Politik.

Im Untergeschoss: Hito Steyerls Großleinwand-Computerspiel um Pop und Politik.

Foto: Thomas Kliemann

Eine profane Fabrik war der Pavillon noch nie. Florian Ebner, Kommissar des deutschen Beitrags, hat ihn dazu gemacht - unter Bauchschmerzen, wie er bei der Pressekonferenz verriet. Denn die Künstlerliste wurde nach Veröffentlichung kontrovers diskutiert, bis zuletzt wahrte man absolute Geheimhaltung über das weitere Projekt "Fabrik".

Ebners Sorgen sind grundlos: "Fabrik" ist seit Gregor Schneiders "Totes Haus u r" in Venedig (2001) die beste Intervention in diesem schwierigen und historisch sperrigen Bau. Ebner erschließt ihn nicht über das protzige Portal, sondern durch den Dienstboteneingang. Der führt zu einem neu geschaffenen Dachraum, der Tobias Zielonys engagierter und formal streng erzählter Dokumentation "The Citizen" über Schicksale von Afrikanern, die in Deutschland leben wollen oder leben müssen, eine nüchterne Bühne gibt.

Von dem Dachraum - die Raumstruktur recycelt Grundelemente der Ausstellung "Kanzlerbungalow" der Architekturbiennale 2014 an diesem Ort - führen Treppen nach unten. Zwei erschließen eine Filmdokumentation und eine Bodeninstallation von Jasmina Metwaly und Philip Rizk, die eine theatrale Performance auf einem Kairoer Dach dokumentieren. Es geht um die Privatisierung einer Fabrik - die neue Fabrik als Metapher für ein freies Land.

Von diesem Topos ist die Filmemacherin Hito Steyerl weit entfernt: Ihre Arbeit in dem zum Multimediakubus umfunktionierten Untergeschoss ist preisverdächtig. Liegestühle stehen im Raum, den eine spacige Gitterstruktur überzieht. Auf der Großleinwand läuft etwas zwischen Ballerspiel und Endzeitdisco, Beats pumpen den Raum auf, Manga-Menschen tanzen um ihr Leben. Es geht um einen Überwachungsstaat, eine alte NSA-Abhöranlage in Berlin, um fiese Drohnen und die noch fiesere Allmacht der Deutschen Bank. "Factory of the Sun" heißt das grelle, toll gemachte Computerspiel um Pop und Politik, mörderischen Wettbewerb und dessen Verlierer.

Auf dem Dach aber wird die "Fabrik" basic: Die gesamte Biennale lang lässt Olaf Nicolai dort drei Menschen Bumerangs schnitzen und werfen. "Giro" heißt dieses Beispiel von Schattenwirtschaft im gleißenden Sonnenlicht. Vom Treiben auf dem Dach bekommt der Passant kaum etwas mit. Der archaische Akt des Werfens beinhalte, so Nicolai - zumal beim Bumerang - immer auch das Möglichkeit des Scheiterns. Hier nicht: Der deutsche Pavillon ist ein großer Wurf auf der heute startenden Biennale.

Die präsentiert sich - so der erste Eindruck - sehr stark. Schon die zentrale Ausstellung, die Duftmarke des künstlerischen Direktors der Biennale, übertrifft etliche Vorgängerschauen. Okwui Enwezor, documenta-11-Chef und Direktor des Münchner Hauses der Kunst, liefert unter dem Titel "All the world's futures" (Die Zukünfte der Welt) ein unglaublich breites, vielschichtiges und anregendes multimediales Panorama ab, das für sich beanspruchen kann, Visionen und Bestandsaufnahmen wirklich der ganzen Welt zu bieten. Arbeiten von mehr als 130 Künstlern sind zu sehen.

Großartige Beiträge gibt es auch in den 89 Länderpräsentationen. Allen voran die Arbeit von Heimo Zobernig in dem von Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig, kuratierten Pavillon. Zobernig lässt die klassische 30er-Jahre-Architektur von Josef Hoffmann für sich wirken, greift minimal und doch durchschlagend ein. Ein schwarzer Boden, der alles nivelliert, eine ebenso durchgängige schwarze Decke, die wie ein materialisierter Schatten wirkt, und lange weiße Bänke sorgen für ein neues, atemberaubendes Raumgefühl. Außergewöhnlich das Projekt von S. T. Caspars und Joanna Malinowska, die für den polnischen Pavillon auf Werner Herzogs Fitzcarraldo-Spuren eine polnische Oper in ein haitianisches Dorf geholt haben.

Die Belgier, die anlässlich der Biennale gerne ihre kolonialen Sünden büßen, tun dies auch 2015, allerdings auf eine bestechend unpädagogische, vielmehr künstlerisch ausdifferenzierte Art.

Im Zentum glänzt Vincent Meessens Video-Recherche "One.Two.Three". So hieß ein Jazzclub im Kongo. Heute wird dort von wunderbaren Menschen kongolesische Rumba zu traurigen Texten aus der späten Kolonialzeit gespielt.

Verspielt ist die nicht mehr ganz junge Exponentin der Young British Artists, Sarah Lucas, die den britischen Pavillon in sattes Gelb getaucht hat. Dort tummeln und lümmeln sich ihre molluskenhaften Wesen, nachgebildete Phalli und Brüste.

Als sinnliches Event konzipiert Pamela Rosenkranz ihren Beitrag für den Schweizer Pavillon. Den Besucher zieht es im lindgrünen Farbrausch und von einem Duft betört, der nach frischer Babyhaut riechen soll, in einen Gang, an dessen Ende eine schillernde rosa Ursuppe blubbert.

Was es sonst noch gibt: Fiona Halls bizarre Wunderkammer im australischen Pavillon; den zauber- und märchenhaften Appell der US-Amerikanerin Joan Jonas, sich der Schöpfung bewusst zu werden; die betörende, brüchige Glaspoesie von Camille Norment bei den Norwegern, um nur einige zu nennen. Die Stadt wird ihrem Ruf gerecht, die älteste und wohl bedeutendste Biennale zu beherbergen.

Biennale Venedig; bis 22. November. Di-So 10-18 Uhr.

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