Oper in Bonn Ballettkunst aus den Niederlanden: Jiri Kyliáns Programm "Kylworks"

BONN · Jirí Kylián wollte sich nicht damit abfinden, dass die von ihm gegründete Tanzcompagnie Nederlands Dans Theater III 2006 dichtmachen musste.

 "Anonymous": Ritualisierte Ästhetik zweier Golddiven.

"Anonymous": Ritualisierte Ästhetik zweier Golddiven.

Foto: Jiri Kylian

Sein Programm "Kylworks", an zwei Abenden zu Gast in der Bonner Oper, sorgt dafür, dass die Idee von NDT III weiterlebt: Unter dem Motto "Jedes Alter tanzt" versammelt das kleine Ensemble außergewöhnliche Tänzerpersönlichkeiten zwischen 35 und 65 Jahren.

In Kyliáns Acht-Minuten-Choreografie "Anonymous" sind das zwei Frauen, die in Unmengen von Goldfolie gehüllt nebeneinander auf der Bühne sitzen und synchron ihre Arme bewegen: elegant, artifiziell, mit vielen sprechenden Gebärden. Die schmeichelnde Sopranstimme von Montserrat Figueras hüllt die ritualisierte Ästhetik der Golddiven in sanften Wohlklang, und alles ist so einlullend schön, dass der plötzlich und brutal hereinbrechende Techno-Krach richtig wehtut.

Dazu werden die Tänzerinnen in Film-Einspielungen auf einer großen Leinwand grotesk verzerrt, bis nur noch zerfließende Farbe übrig ist - Videokunst, die das Publikum nicht genießen kann, weil ihm bei dem elektronischen Angriff auf die Trommelfelle Hören und Sehen vergeht. Zum Glück ist es bald vorbei, und das folgende Duo "14'20''" ist ein schönes Beispiel dafür, wie präzise, kraft- und ausdrucksvoll ein Paar um die 40 tanzen kann.

Der unberechenbare Soundtrack, zusammengesetzt aus Mahler-Themen und Sprachfetzen, korrespondiert mit einem stockenden Bewegungsfluss voller scharfer Drehungen und Wendungen, die darauf hindeuten, dass diese Liebe nicht für die Ewigkeit ist. Am Ende sind beide weit voneinander entfernt unter dem Tanzteppich begraben.

Im Schwarz-Weiß-Tanzfilm "Car-Men" spielt Kyliáns Frau Sabine Kupferberg die Hauptrolle: Als autoverrückte Carmen ist sie in einer Wüste aus Steinen und Metallschrott gestrandet und spielt mit den Gefühlen der anderen traurigen Gestalten, die in der besten Slapstick-Tradition amerikanischer Stummfilme um sie herumtanzen. Am Ende können Escamillo und Don José Carmen gestohlen bleiben - ihre wahre Liebe ist ein tschechischer Tatra-Flitzer, der sie aus der tristen Realität entführt.

Die surreale Komik ergibt sich vor allem aus der erhöhten Laufgeschwindigkeit des Films, in dem jede einzelne Bewegung perfekt mit Bizets Musik synchronisiert ist. Das gilt auch für das Stück "Birth-Day", in dem fünf barock gewandete Tänzer an einem Tisch sitzen, Geburtstag feiern, zu Mozartklängen komplizierte Fächer-Choreografien ausführen und einer nach dem anderen hinter der Leinwand verschwinden, um gleich darauf im Film wieder aufzutauchen.

Hier werden in perfektem Einklang mit der Musik allerlei Spiegelfechtereien in Szene gesetzt, die sich auch mit Alter und Tod auseinandersetzen, denn: "Was zwischen Geburt und Tod passiert", so Jirí Kylián bei seinen Erläuterungen in der Pause, "ist nur eine Generalprobe für etwas viel besseres".

In der Hauptsache lebt jedoch auch "Birth-Day" von den witzigen Effekten des Schnelldurchlaufs, der neben einem clownesken Küchenballett auch die rasanteste Bettszene aller Zeiten ermöglicht: hinreißend.

Die genial verrückten Kameratricks können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich vor der Leinwand zu wenig abspielt. Weniger Filmklamotte, dafür mehr Live-Präsenz der Tänzer, die immer noch so viel drauf haben: Dann wäre Kylworks ein voller Erfolg.

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