Pianist Grigory Sokolov in Köln Balletttänzer am Klavier

Ein Jahr ist es her, dass Grigory Sokolov das letzte Mal Köln die Ehre gab. Neuerlich war die Philharmonie rappelvoll, vor dem Haus flehten einige Kartensucher vergeblich. So wird es wohl auch künftig bleiben, denn längst hat der Magie ausstrahlende Pianist eine feste Fangemeinde.

 Die Musik ist für ihn das Leben: Grigory Sokolov bei der Probe in der Kölner Philharmonie.

Die Musik ist für ihn das Leben: Grigory Sokolov bei der Probe in der Kölner Philharmonie.

Foto: Brill

Sokolov, sanfter Kraftmensch von jetzt 65 Jahren, hat mit Äußerlichkeiten nichts am Hut, wirkt auf der Bühne sogar hermetisch verschlossen. Doch mit seinem unglaublich nuancierten, wie nach innen horchenden Spiel hat er sich einen Kreis von Bewunderern geschaffen, welche diesen Tastenzauberer erst nach sechs Zugaben entlässt. Das Kölner Konzert endete erst nach 23 Uhr. Die nachgerade hypnotische Anziehungskraft von Sokolov hat natürlich längst Vermarkter auf den Plan gerufen.

Ein acht Jahre zurückliegendes Salzburger Konzert kam vor kurzem heraus (eines aus Berlin soll folgen). Jüngst wurde auch ein russisches Doppelalbum veröffentlicht, das unter anderem Aufnahmen des ganz jungen Sokolov enthält (zwei Stücke spielte er im Alter von 16 Jahren ein).

Aber live ist allemal besser, speziell bei Sokolov, auch wenn sein stereotypes Auftrittsgebaren den Augen nichts bietet. Zu sehen ist freilich, mit welch raffinierter Anschlagsgestik der Künstler seine feingliedrigen Tonketten und delikaten Rubati aus den Klaviertasten herausfiltert. An seinem Instrument wird der körpermassige Künstler über seine Finger zu einem Balletttänzer. Wer mit einem so kitschgefährdeten Stück wie Chopins "Regentropfen"-Prélude (Zugabe Nr. 5) Hörern noch den Atem zu rauben vermag, ist ein großer Musiker.

Bevor bei Beethoven (Sonate Nr. 7 D-Dur, opus 10,3) und Schubert (Sonate a-Moll, D 78 und Moments musicaux, D 780) ausgedehntes Schwärmen angesagt ist, darf - fast erleichtert sagt man's - ein geringfügiger Einwand gegenüber der Bach-Partita B-Dur, BWV 825 erhoben werden. Sie erklang durchsichtig und klar konturiert, in ihrer festen Motorik aber auch etwas starr. Die finale Giga mit ihrem virtuosen Drive, die Sokolov zu mehr interpretatorischer Lockerheit anhielt, deutete überhaupt an, dass Sturm und Drang in der Musik für den Pianisten ein Stimulans bedeutet, so paradiesisch er sich auch in lyrischen Passagen zu verströmen vermag.

Bei Beethoven und vor allem bei der unglaublichen Schubert-Sonate mit ihrer ausdruckswütigen, kataraktartigen Klangwelt überfiel den Zuhörer geradezu ein Schock bei so viel dramatischer, emotionsgesteigerter Energie. Auch die Moments musicaux gerieten zu einer musikalischen Weltenwanderung von beklemmender Intensität. Sokolov war hier nicht nur ein außerordentlich guter Interpret, sondern steigerte sich in die Rolle eines musikalischen Schicksalslenkers hinein. "Musik ist kein Beruf, die Musik ist das Leben" - so sein Statement bei Gelegenheit eines kürzlich veröffentlichten Zeitungsporträts. Das hört man voller Staunen.

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