Reihe „Pur“: Beetovens „Pastorale“ in der Telekom Zentrale in Bonn Beethoven mit ganz anderen Ohren gehört
Bonn · Die „Pastorale“ hat schon für manches herhalten müssen. Über das organische Wachstum der 6. Sinfonie Beethovens gibt es dabei so viel zu sagen. Johannes Debus hat das im Telekom Zentrum getan – und so einem ganz neuen Hörerlebnis den Weg bereitet.
1940 schuf Walt Disney mit „Fantasia“ seinen dritten abendfüllenden Zeichentrickfilm. Klassische Musik wird darin auf eine Art bebildert, dass die Frage, was Musik bedeutet, ein für alle Mal geklärt scheint. Mickey Mouse tritt als Goethescher Zauberlehrling auf (zur gleichnamigen Musik von Paul Dukas), Tiere, Pflanzen, Feen und Pilze tanzen zu Motiven aus der „Nussknacker-Suite“ von Tschaikowsky, ein dämonisches Wesen namens Chernobog holt die Toten aus den Gräbern und lädt zum Hexensabbat (nach Musik von Mussorgski). Breiten Raum (wenn auch gekürzt) nimmt im fünften Teil des Films Beethovens 6. Sinfonie, die „Pastorale“, ein. Sie untermalt ein mythologisches Griechenland, in dem niedliche Pegasuspferdchen herumtanzen, zuckersüße Putti ihre Späße treiben, und Zentaurinnen, die aussehen wie Barbiepüppchen, verführerische Blicke aussenden. War es das, was Beethoven mit dieser Sinfonie „ausdrücken“ wollte?
Johannes Debus als Gastdirigent
Ganz sicher nicht, erklärte Johannes Debus in der Zentrale der Telekom. Der Musikdirektor der Oper im kanadischen Toronto stand an diesem Abend als Gastdirigent in der Reihe „Pur“ am Pult des Beethovenorchesters, schlüpfte aber auch mühelos in die Rolle des eloquenten Moderators (zusammen mit Orchesterdramaturg Tillmann Böttcher). Debus erinnerte an das berühmte Motto, das Beethoven selbst seinem Werk vorangestellt hat: es sei „mehr Empfindung als Malerei“.
Damit hat er aller rein illustrativen Musik eine Absage erteilt, die immer Gefahr läuft, zum bloßen Reizauslöser für allerlei Fantasiegebilde zu werden. Auf innermusikalische Stimmigkeit legte Beethoven demzufolge großen Wert (ohne auf illustrative Einsprengsel wie Vogelstimmen, Tanz, Gewitter und anderes zu verzichten).
Organisches Wachstum der Sinfonie
Schon der allererste Anfang, ein unscheinbares Motiv über einer Bordunquinte, noch dazu nicht vom vollen Orchester, sondern in reiner Streichquartettbesetzung gespielt, enthält in nuce viel von dem, was später weiterentwickelt wird. Damit rückte ein weiteres Stichwort in den Blickpunkt: organisches Wachstum. Böttcher und Debus führten in aufschlussreichen Zwiegesprächen aus, wie Beethoven den erwarteten Verlauf einer Sinfonie zwar nicht aufgibt, aber zugunsten einer Hommage an die Wirkkräfte der Natur in den Hintergrund schiebt. Beethoven zeige, „wie Natur funktioniert“, so Debus. Etwa mit rhythmischen Konflikten zwischen verschiedenen Metren oder einem scheinbar zeitlosen Kreisen von Begleitfiguren. Erhellend auch die Bemerkung, im zweiten Satz, (in der „Szene am Bach“) habe Beethoven den Zustand der „Entrückung“ durch ungewöhnliche harmonische Abläufe auskomponiert.
Die rund einstündige Moderation ging weit über eine gewöhnliche Einführung hinaus und bot, nicht zuletzt durch die vielen „live“ vom Orchester gespielten Beispiele, eine Fülle von Einsichten. Derart „gestärkt“, hörte man die anschließende, farbenprächtige und lebendige Aufführung mit ganz anderen Ohren.