Beethoven Orchester: Neue CD-Reihe startet mit Franz Schmidt

Das Bonner Ensemble setzt auf Live-Mitschnitte: Im Unterschied zu seinem Vorgänger kommt es Stefan Blunier auch darauf an, die von einer gewissen Spontaneität des Musizierens geprägte Konzertatmosphäre festzuhalten.

Stefan Blunier dirigiert das Beethoven Orchester Bonn.

Stefan Blunier dirigiert das Beethoven Orchester Bonn.

Foto: Stadt Bonn

Bonn. Der legendäre kanadische Pianist Glenn Gould war der tiefen Überzeugung, dass in Zeiten der perfekten technischen Reproduzierbarkeit von Musik das Live-Konzert keine Zukunft mehr habe. Er selbst hatte 1964 mit gerade 32 Jahren frühzeitig die Konsequenzen gezogen und nur noch im Aufnahmestudio musiziert.

Dass die Entwicklung - zumindest in der klassischen Musik - jedoch ganz anders verlaufen würde als von ihm prognostiziert, hätte den 1982 gestorbenen Künstler gewiss überrascht: Das Live-Konzert ist nicht tot, sondern unverzichtbar, insbesondere sogar für die Plattenindustrie. Für große Produktionen betreten klassische Musiker nur noch in Ausnahmefällen das Studio.

Die meisten Neuaufnahmen von Sinfonien und Opern entstehen längst als Live-Mitschnitte. Das spart Geld, muss aber nicht einmal zum Nachteil für die Musik sein, zumal mit heutigen technischen Möglichkeiten unliebsame Nebengeräusche wie Huster wegradiert werden können.

Auch das Beethoven Orchester setzt jetzt auf Live-Mitschnitte. Anders als sein Vorgänger Roman Kofman, der unter anderem sämtliche 15 Sinfonien des Russen Dmitri Schostakowitsch unter Studio-Bedingungen aufgenommen hatte, kommt es Stefan Blunier auch darauf an, die von einer gewissen Spontaneität des Musizierens geprägte Konzertatmosphäre festzuhalten. Die neue CD-Reihe des Orchesters nennt sich deshalb schlicht "live", sie erscheint bei Dabringhaus & Grimm, dem Stammlabel der Bonner.

Die erste, sehr empfehlenswerte CD wurde Anfang dieses Jahres in der Beethovenhalle aufgenommen. Auf dem Programm des Abo-Konzerts stand unter anderem die Sinfonie Nr. 4 des österreichischen Komponisten Franz Schmidt (1874-1939), ein Werk, dessen spätromantisch opulente Tonsprache Bluniers Vorlieben sehr entgegenkommt.

Die melancholisch grundierte Sinfonie ist ein Reflex des Komponisten auf einen Schicksalsschlag, der ihn schwer traf: 1932 war seine Tochter Emma nach der Geburt ihres ersten Kindes überraschend gestorben. Die eigentlich helle Grundtonart C-Dur hat in diesem sinfonischen Requiem nicht die geringste Chance, einmal so zu erstrahlen wie in Mozarts Jupiter-Sinfonie.

Die Farben sind gedämpft, das Trompetensolo zu Beginn und das Cello-Solo des Adagios erscheinen als Klagegesänge, die von den beiden Solisten des Orchesters mit großer emotionaler Beteiligung gespielt werden. Blunier wählt für die Ecksätze sehr gemessene Tempi, mit denen er die Trauerstimmung der Sinfonie wirkungsvoll unterstreicht. Das Beethoven Orchester füllt die Zeit mit immenser Spannung, der man sich als Hörer kaum zu entziehen vermag.

Auch wenn auf der CD der Applaus herausgeschnitten wurde, muss man auf die Zugabe nicht verzichten: Franz Schmidts schwelgerisches Intermezzo aus der Oper "Notre Dame".

Die nächste Folge der Reihe "live" erscheint bereits im September. Dabei handelt es sich um Eugene d'Alberts Oper "Der Golem".

Franz Schmidt: Sinfonie Nr. 4, Intermezzo aus "Notre Dame", Beethoven Orchester Bonn, Dirigent: Stefan Blunier; "DMG Live", Dabringhaus & Grimm

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