Beethovens Neunte zum Jahreswechsel „Freude, schöner Götterfunken“ in ganz Deutschland - nur nicht in Bonn
Bonn · Die neunte Sinfonie Ludwig van Beethovens erklingt in diesen Tagen in vielen Städten. Sie zum Jahreswechsel aufzuführen, hat Tradition. Nur in seiner Geburtsstadt Bonn ist es in diesen Tagen nicht zu hören.
Berlins Klassikfans fiebern dem Jahreswechsel schon seit Wochen entgegen. Daniel Barenboim, der sich für Monate krankheitsbedingt vom Dirigentenpult zurückziehen musste, hat seine Rückkehr angekündigt und wird an Silvester und am Neujahrstag zwei Konzerte in der längst schon ausverkauften Staatsoper dirigieren.
Dabei greift der gerade 80 Jahre alt gewordene Maestro auf Musik zurück, die in vielen Städten fest zum Ritual des Jahreswechsels gehört: Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9. Eine Auswahl: In Hamburg erklingt sie sowohl in der Elbphilharmonie als auch in der alten Leiszhalle, in Dresden dirigiert Christian Thielemann sie an drei Abenden in der Semperoper, in Leipzig steht Andris Nelsons am Pult des Gewandhausorchesters, die Münchner Philharmoniker und die Münchner Symphoniker spielen sie im Wechsel in der neuen Isarphilharmonie, selbst das walzerselige Wien mag in diesen Tagen nicht auf die Musik der Neunten und ihre humanistische Botschaft verzichten: Klaus Mäkelä, der Shootingstar unter den jungen Dirigenten der internationalen Klassikszene, dirigiert die Wiener Symphoniker an diesem Freitag im Großen Saal des Konzerthauses.
Sieben Jahre Beethovenfest ohne die Neunte
Lediglich Beethovens Geburtsstadt Bonn fremdelt zum Jahrewechsel mit dem sinfonischen Opus magnum seines größten Sohnes.Trotz Beethoven Orchester und trotz Beethovenfest. Beim Festival hat die populäre Sinfonie hier auch sonst keinen leichten Stand: Nachdem die Neunte 2014 mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Leitung von Andris Nelsons in der Beetovenhalle erklungen war, brauchte es sieben Jahre, bis die damalige Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner das Werk wieder ins Festivalprogramm aufnahm – als Teil des Sinfonien-Zyklus, mit der sie das coronabedingt um ein Jahr verschobene Jubiläumsfestival zum 250. Geburtstag des Komponisten krönte. Ihr Nachfolger Steven Walter hatte das Motto „Alle Menschen“ für sein Festival-Debüt im Sommer 2022 zwar der Neunten entlehnt, das Werk selbst erklang jedoch nicht.
Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan und das Beethoven Orchester haben da weniger Scheu vor dem Werk, das der Dirigent bei einer Aufführung 2018 als „Dokument der Menschlichkeit“ bezeichnete. Sie führten die Sinfonie auch im Dezember 2019 zum Auftakt des Jubiläumsjahres auf, dann noch einmal im Rahmen eines Zyklus mit allen Sinfonien, wobei die Neunte wegen der damaligen strengen Corona-Schutzmaßnahmen ohne Publikum, ohne Chor und Gesangssolisten mit einem alternativen instrumentalen Finale des Briten Gabriel Prokofiev gespielt werden musste.
Kaftan würde es machen, „wenn das Publikum es wünscht“
Kaftan könnte sich die in anderen Städten gelebte Tradition auch für Bonn vorstellen. „Wenn das Publikum es wünscht, wäre das denkbar“, sagt er. Trotz künstlerischer Einwände, die er gegen eine damit verbundene „Ritualisierung der Neunten“ erhebt. Er finde es immer wichtig, für Aufführungen einen künstlerischen Kontext zu schaffen. Derzeit sei es jedoch kaum möglich, das Werk an Silvester oder Neujahr aufzuführen. Nach der sanierungsbedingten Schließung der Beethovenhalle Ende 2016 hat das Beethoven Orchester keinen eigenen Konzertsaal mehr. In der Oper sei der 1. Januar stets für die konzertante Aufführung zumeist weniger bekannter Opern reserviert. An diesem Neujahrstag hätte das Giacomo Meyerbeers zuvor bereits szenisch gezeigte Oper „Ein Feldlager in Schlesien“ sein sollen. Wegen des aktuell andauernden Kriegsgeschehens in der Ukraine hatte Intendant Bernhard Helmich die lange geplante Aufführung der von Schlachtenmusik geprägten Oper jedoch ersatzlos gestrichen. Den freigewordenen Platz mit der Friedensbotschaft von Beethovens Neunter zu füllen, hätte da eine sinnvolle Option sein können. Das sei jedoch planungstechnisch nicht möglich gewesen, sagt Kaftan. Die Kapazitäten des Orchesters würden derzeit für eine Aufnahme des „Feldlagers“ fürs Radio gebunden.
Tradition der Klassischen Philharmonie
Das schon in früheren Jahren existierende Vakuum hatten lange die Klassische Philharmonie Bonn und des Chur Cölnischen Chores mit Heribert Beissel, dem Gründer und Leiter beider Ensembles, am Pult besetzt. Zuletzt führten sie die Neunte vor genau zehn Jahren am 1. Januar 2013 auf. Ob die alte Tradition unter neuer Leitung nach der Wiedereröffnung der Beethovenhalle wieder aufgegriffen werden wird, ist derzeit völlig offen.
Sicher ist aber: In naher Zukunft wird auch in Bonn die neunte Sinfonie wieder in den Fokus rücken. Wenn die Welt 2024 den 200. Jahrestag ihrer Uraufführung begeht, feiert auch die Bonner Beethovenfamilie mit. Mit Aufführungen, Ausstellungen und Symposien. Vielleicht ja ein schöner Anlass, das Jahr 2024 mit einer festlichen Aufführung dieses Werkes zu beginnen.